Amok-Ermittlungen in Köln: Schwere Vorwürfe gegen Polizei
Die Polizisten hätten den späteren Selbstmörder nach der Vernehmung nicht laufen lassen dürfen, sagen Psychologen. Nach taz-Informationen verstießen Beamte gegen Vorschriften.
![](https://taz.de/picture/408857/14/polizei_03.jpg)
Psychologen haben die Kölner Polizei scharf für ihr Vorgehen bei dem vereitelten Amoklauf kritisiert. "Die Beamten hätten den Jungen nach der Vernehmung nicht einfach laufen lassen dürfen", sagte Dietmar Heubrock, Geschäftsführender Direktor des Bremer Instituts für Rechtspsychologie, am Dienstag der taz. "Gerade wenn der Verdacht eines Amoklaufes besteht, muss die Polizei davon ausgehen, dass der Verdächtige vielleicht zu Depressionen oder gar zu suizidalen Handlungen neigt."
Der 17 Jahre alte Rolf B. hatte nach Ermittlungen der Polizei zusammen mit einem Freund einen Amoklauf am Kölner Georg-Büchner-Gymnasium geplant. Zwei Beamte hatten die Schule am Freitag aufgesucht und den Jungen mit der Schulleitung zu Bildern des Amoklaufs an der Columbine Highschool auf seiner Internetseite befragt. Weil er ihnen unverdächtig vorkam, ließen sie ihn laufen. Nur wenig später warf sich Rolf B. vor eine Straßenbahn.
Indem sie den Jungen unbeaufsichtigt ziehen ließen, haben die Ermittler möglicherweise gegen die bundesweit gültige Polizeidienstvorschrift (PDV) verstoßen. Die PDV mit der Nummer 382 regelt die "Bearbeitung von Jugendsachen". In dem internen Papier, das der taz vorliegt, heißt es: "Kinder sind nach Beendigung polizeilicher Maßnahmen von Erziehungsberechtigten () abholen zu lassen oder () ihnen zu überstellen." Mit Jugendlichen wie dem 17-jährigen Rolf B. sei "in gleicher Weise zu verfahren", wenn eine "besondere Krisensituation" es gebietet. "Bei der Bedrohungslage, von der die Polizei ausging, war klar eine Krisensituation gegeben", sagte Heubrock. "Die Eltern haben das Recht, bei solchen Gesprächen dabei zu sein. So können sie auf Gefühle des Kindes, auf seine Wut oder Erregung reagieren."
Der Bremer Rechtspsychologe analysiert regelmäßig für die niedersächsische Polizei bedrohliche Situationen an Schulen, etwa wenn ein anonymes Schreiben gefunden wird. Auch führt er oft Gespräche mit auffälligen Jugendlichen. Zwar hält er es für richtig, dass die Polizei "schon im Vorfeld gehandelt und Gefährdungen gesucht" hat. Doch für ihn haben die Bezirksdienstbeamten die Aussagen falsch bewertet. Der 17-Jährige hatte den Polizisten, die sonst im Kiez Streife laufen und mit Bürgern reden, erzählt, er habe nur auf die Problematik von Amokläufen aufmerksam machen wollen. "Sehr, sehr viele Jugendliche lügen, wenn sie mit einem solchen Verdacht konfrontiert werden. Für mich wäre der Verdacht nicht vom Tisch gewesen." Auch der Münchner Polizeipsychologe Georg Sieber kritisierte die Polizei. "Die Fahnder wollten rasch einen publikumswirksamen Erfolg präsentieren. Wenn es ihnen um den Jugendlichen gegangen wäre, hätten sie anders reagiert."
Hätte die Polizei den Selbstmord also verhindern können? Die Staatsanwaltschaft nahm die Polizei am Dienstag in Schutz. Am Freitagvormittag sei eine Suizidgefährdung des Jungen für die an der Befragung Beteiligten nicht erkennbar gewesen, sagte Oberstaatsanwalt Alf Willwacher. Auch habe sich der Verdacht auf einen Amoklauf erst durch spätere Ermittlungen erhärtet. "Es bestehen daher derzeit keine Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten." Die Staatsanwaltschaft hatte am Montagabend den 18-Jährigen Mitverdächtigen Robin B. auf freien Fuß gesetzt. Die Aussagen des 18-Jährigen und ausgewertete Chat-Gespräche hatten bewiesen, dass er den Plan für die Bluttat schon vor vier Wochen verworfen hatte.
Der gestrige Jahrestag des Amoklaufs in Emsdetten wurde von der Angst vor weiteren Bluttaten bestimmt. Im niederrheinischen Kaarst durchsuchten Polizisten nach einem Tipp finnischer Ermittler das Georg-Büchner-Gymnasium, welches den gleichen Namen wie die Kölner Schule trägt. Die finnische Polizei war in einem Internet-Chatroom auf eine Unterhaltung zweier Personen gestoßen, die gehört haben wollten, dass ein Amoklauf am Kaarster Gymnasium geplant sein könnte. Der Verdacht bestätigte sich nicht. An einer Göttinger Berufsschule wurde der Unterricht wegen einer Bombendrohung unterbrochen.
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