Amerikanische Aussicht: Am Bildschirm steigt man ein
■ Das San Francisco MOMA: Ein regloser Dampfer für zeitgenössische Fitneßcenter- und Eiskammerästhetik
Das San Francisco Museum of Modern Art ist bei weitem nicht so bedeutend, wie man es in einer vermögenden und attraktiv gelegenen Stadt erwarten könnte. Der Hauptstrom der nordamerikanischen Kunst zieht immer wieder durch New York wie das Kamel durchs Nadelöhr; und die Gegenkräfte sammeln sich, in Phasen, immer wieder in Los Angeles. So blieb über Jahre die Sammlung des San Francisco MOMA teils den regionalen Größen verpflichtet – am bekanntesten sind die steil ansteigenden Landschaften von Richard Diebenkorn –, teils versuchte das Museum mit der internationalen Entwicklung Schritt zu halten.
Im Civic Center an der Van Ness Avenue untergebracht, hatte das Museum nie viel Platz und war insofern entlastet: Wie soll man in einer trüben Höhle renommieren? Deshalb kam 1989 die Idee auf, einen Neubau auszuloben, der im letzten Jahr fertiggestellt wurde. Das Museum zog näher an die Bürostadt von Downtown, aber südlich von Market Street – also in ein städtebauliches Areal, das nur mit großem Aufwand belebt werden kann. Und so war die Positionierung des Museums wohl auch gemeint.
Der Museumsvorstand hatte dem Architekten gesagt, was er wollte: einen dramatischen, inspirierenden Raum, der dennoch klassische Ausstellungsräume bietet. Genau das hat Mario Botta, der Architekt aus dem Tessin, mit seinem ersten amerikanischen Auftrag aus dem S.F. MOMA gemacht: ein Gebäude, das sich selbst feiert und in dem es außerdem auch Kunst zu sehen gibt. Das Kernstück des Museums ist ein gewaltiges Atrium, von drei Säulen gestützt, das nach oben als helle Röhre geöffnet ist und in einem großen, runden Oberlicht endet, unter das eine Art Kapitänsbrücke montiert ist. In schwindelnder Höhe sieht man die Besucher von einer Seite zur anderen passieren.
Mit Material hat man nicht gegeizt: die Böden und die Fußstücke der Säulen sind in zweierlei Granit gehalten; rauhem anthrazitfarbenem, der die Struktur beruhigt, und schwarzem glänzenden, in dem sich die hellen Partien des Bauwerks spiegeln. Die Servicetresen und Wände sind mit hellem Holz aufwendig verblendet.
Man würde sich nicht wundern, wenn das Logo der Bank of Tokyo in goldenen Lettern über dem gedrungenen Tor prangen würde, das per Haus-im-Haus-Effekt den Eingang zum Aufgang abgibt. Wer durch den im gleichen Granit gestreiften Schacht nach oben steigt, kann von weißen Balkons aus auf das makellose Ambiente des Eingangsbereichs zurücksehen.
Die Galerien des Museums sind ernüchternd im Vergleich. Die niederste, mit der permanenten Sammlung, ist die gelungenste, weil sie entlang der Museumsfront eine oberlichtbeschienene Enfilade bietet, eine Folge mittig geöffneter Räume, deren Kunst sich symmetrisch gegenüberhängt. Die Ruhe eines klassischen Museums tritt dennoch nicht ein, weil die Wände technische Raumteiler sind, die über dem zu bleichen Parkettboden eine dunkle Ritze lassen.
Das größte Vergnügen des Museums liegt bekanntlich im Rundgang, und wenn er schon keine labyrinthischen Varianten bietet, sollte er wenigstens wirklich ein Rundgang sein. Zum Zeitpunkt meines Besuchs gab es keinen. Im ersten und zweiten Stock hatte man jeweils eine Seite abgesperrt, um neue Ausstellungen zu hängen, der dritte Stock ist ohnehin in zwei Flügel unterteilt, und ganz oben gibt es einen gigantischen Raum, der mit einem Blick einzusehen ist. Wohin man ging, der Rückweg war der Hinweg. Die Videoabteilung hat dort oben, wo eigentlich am meisten Tageslicht sein sollte, eine Folge lichtloser Räume bekommen, die vollständig von einer Installation Matthew Barneys eingenommen war, dessen Fitneßcenter- und Eiskammerästhetik für die industrielle Tristesse des Ambientes wahrscheinlich die gerechte Strafe ist.
Offensichtlich hat das Museum kein besonderes Vertrauen in das Interesse der Besucher, sich die Bilder und Skulpturen leibhaftig anzusehen. Eine Computerstation ermöglicht den Einstieg per Bildschirm unter dem Vorwand der systematischen Recherche. Aber die Informationen, die in das System eingespeist sind, erweisen sich als dürftig. Es gibt ein Adreßverzeichnis der Kunstplätze in San Francisco – aber wie eine Stichprobe ergibt, ist die neue Adresse einer wichtigen alternativen Institution auch ein halbes Jahr nach ihrem Umzug noch nicht korrekt verzeichnet. Man kann auch das Botta-Museum in Frontalansicht auf den Bildschirm rufen: ein gewaltiger roter Ziegelsteinklotz, der durch die marmoriert ansteigende und oben schräg geschnittene Rotunde überragt wird. Es ist vom Kathedralencharakter des Gebäudes geschrieben worden. Eigenartig, daß der Verweis Bottas auf den Schornstein des Ozeandampfers in der Stadt am Pazifik unbemerkt blieb.
Nicht die finstere Feierlichkeit des Gebäudes ist störend; auch mit der fast unübertrefflich tristen (Verwaltungs-)Rückseite könnte man sich noch abfinden. Was an dem Bauwerk beunruhigt, ist die Ahnung, daß es keine semantische Umwertung, keinen Zweifel, keinen Gesinnungswandel zuläßt. Die Aura der Unerschütterlichkeit muß nicht das beste Gewand sein für eine Institution, der es an reichen Freunden nicht fehlt, aber an tragenden Ideen. Ulf Erdmann Ziegler
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