American Pie: Moralische Unterhaltung
Die Sportstars haben gefehlt. Ben Roethlisberger, Quarterback bei den Pittsburgh Steelers, wurde vom NFL für sechs Spiele gesperrt. Franck Ribery jedoch darf weiterspielen.
Der Held hatte gefehlt. Einer der größten Stars seiner Sportart hatte sich eingelassen mit einer sehr viel jüngeren Frau. Die, so steht zu vermuten, tat das nicht wirklich freiwillig. Eine Schuld aber ist dem Athleten nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Hier aber enden sie, die Parallelen zwischen Europa und den USA, zwischen Fußball und Football, zwischen Franck Ribéry und Ben Roethlisberger.
Tatsächlich scheinen die beiden prominentesten Skandale, in denen aktuell Sex und Spitzensport aufeinander treffen, auf den ersten Blick vergleichbar. Wie allerdings die Öffentlichkeit und vor allem die Sportfunktionäre darauf reagieren, das beleuchtet, welch unterschiedliche Anforderungen die Gesellschaft auf den beiden Seiten des Atlantiks an die Moral ihrer Sportheroen stellt.
Ben Roethlisberger bekleidet als Football-Quarterback die Heldenposition im amerikanischen Sport schlechthin. Der 28-Jährige gilt nicht unbedingt als einer der herausragendsten, aber als besonders hartgesottener Vertreter seines Fachs. Der fast zwei Meter große Modellathlet hat mit den Pittsburgh Steelers schon zwei Mal den Super Bowl gewonnen und sich dadurch seinen Platz im Pantheon des Sports bereits gesichert.
Nun aber steht er unter Verdacht, vor vier Wochen in einer Bar im 2.000-Seelen-Örtchen Milledgeville in Georgia eine Frau vergewaltigt zu haben. Roethlisberger und seine Entourage hatten mehrere junge Frauen in die VIP-Sektion des Clubs eingeladen und dann überredet, Schnaps zu trinken, obwohl in Georgia Alkoholkonsum erst ab einem Alter von 21 Jahren erlaubt ist.
Nachdem die Barbekanntschaften angemessen abgefüllt waren, ließ Roethlisberger eine der Frauen von einem seiner Leibwächter in einen Flur führen. Dort, so behauptet die 20-Jährige, hätte sich der Quarterback vor ihr entblößt. Sie sei daraufhin in die Frauentoilette geflüchtet, aber Roethlisberger sei ihr gefolgt und hätte sie zum Geschlechtsverkehr gezwungen - obwohl sie mehrmals eindeutig "Nein" gesagt habe.
Roethlisberger, der bereits 2008 in einen ähnlichen Fall in Nevada verwickelt war, streitet die Vorwürfe ab, und auch zu einer Anklage kam es nicht. Die Staatsanwaltschaft ließ wissen, dass die Vorwürfe des Opfers nicht zweifelsfrei geklärt werden können. Und die Frau selbst bat die Behörden, die Angelegenheit nicht weiter zu verfolgen, weil sie die mediale Aufmerksamkeit fürchte. Doch gerade die war längst gewaltig. Der Skandal beherrschte die Berichterstattung, mindestens ein Sponsor feuerte Roethlisberger, und sein Arbeitgeber, die Steelers, drohten ihrem Vorzeigeangestellten Konsequenzen an.
Die wurden dann allerdings von höherer Stelle vollzogen. Roger Goodell, Boss der National Football League (NFL), suspendierte Roethlisberger, obwohl ihm juristisch nichts nachzuweisen ist, für die ersten sechs Spiele der neuen, im September beginnenden Spielzeit. Sechs Spiele, das ist mehr als ein Drittel der Saison - und Roethlisberger verliert auch einen entsprechenden Anteil seiner ungefähr acht Millionen Dollar Gehalt für 2010. Die Möglichkeit dazu hat Goodell, weil die NFL einen Betragenskodex für ihre Spieler installiert hat.
Unvorstellbar dagegen, dass Franck Ribery für 12 Bundesligaspiele gesperrt würde. Der französische Fußballprofi hat zwar zugegeben, eine minderjährige Zwangsprostituierte aufgesucht zu haben, sich aber öffentlich noch nicht zu seiner Verfehlung geäußert und darf weiter für Bayern München auflaufen. Roethlisberger dagegen sah sich gezwungen, zerknirschte Entschuldigungen herauszugeben. Auch seine Suspendierung, so verkündete er am Montag, werde er nicht anfechten. Stattdessen gelobte er öffentlich Besserung.
Hier offenbart sich der grundsätzlich verschiedene Umgang mit Sportstars in Europa und den USA. Die nordamerikanischen Sport-Ligen sind ganz offiziell Unternehmen und als solche um ihr Ansehen besorgt - und nicht zuletzt um den Wert ihres Produkts. Die christlich geprägten "family values" zu ignorieren, würde auf lange Sicht die Anhängerschaft vergraulen - denn der typische NFL-Fan stammt aus der weißen Mittelschicht. Nicht umsonst ist der Sonntag der traditionelle Spieltag der 90 Jahre alten Liga: Der Nachmittag mit der Übertragung eines Footballspiels ist ebenso heilig wie der vormittägliche Kirchenbesuch. Und an die Helden, die anschließend für Unterhaltung sorgen, werden bisweilen eben vergleichbare moralische Maßstäbe angelegt.
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