American Pie: Radikal kanadisch
■ Eine Football-Liga im hohen Norden Amerikas pflegt ihre Andersartigkeit
Singin', this'll be the day that I die
North of the border: Schneebedeckte Weiten, Kälte, Eishockey – dafür ist Kanada gemeinhin bekannt. Den Kanadiern haftet der Ruf an, ein innerlich zerrissenes Volk zu sein: Einerseits ist da beständig ein Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem übermächtigen und vor Selbstbewußtsein strotzenden Nachbarn im Süden, den USA, andererseits pflegen sie ihre Andersartigkeit, sind stolz auf ihre britische oder französische Herkunft und ihre Weltaufgeschlossenheit. Dieser Konflikt spiegelt sich auch im Sport wider. Vom Nationalsport Eishockey, der dort beklagten Amerikanisierung und dem Ausverkauf der Traditionsvereine, die einer nach dem anderen gen Süden ziehen, soll hier nicht die Rede sein, sondern vielmehr von der Nummer 2 im kanadischen Sport, dem Spiel mit dem „Lederei“: American Football – allerdings in modifizierter Form, à la canadien.
Zugegeben, die CFL, die Canadian Football League, kennen außerhalb Kanadas nur Eingeweihte, doch nach Jahren finanzieller Probleme konnte sich die Profiliga im hohen Norden des Kontinents etablieren und tritt nun immer selbstbewußter auf. „Radically canadian“, preist die CFL ihr Produkt an und zumindest in den Weiten des kanadischen Westens kommt dieses Motto gut an. Wenn die Edmonton Eskimos, Calgary Stampede, British Columbia Lions, Saskatchewan Roughriders oder Winnipeg Blue Bombers ihre Heimspiele austragen, steht das Leben für Stunden still, und es gibt für Jung und Alt nur noch ein Thema: Canadian – nicht American! – Football.
Kenner merken schon nach wenigen Minuten, daß sich die kanadische von der US-Version unterscheidet. Das Spielfeld ist größer, statt der vier Versuche in der NFL sind nur drei erlaubt, um zehn Yards Raumgewinn zu erzielen, und es gibt noch etliche andere Regelunterschiede. „Radically canadian“ bedeutet aber vor allem, daß mehr Wert auf Dynamik, Wendigkeit und Schnelligkeit der Spieler gelegt wird, Kraft und körperlicher Einsatz jedoch eine geringere Rolle spielen als in der NFL. Der erste Eindruck mag einem amerikanischen Beobachter recht geben, der für ein CFL- Spiel nur ein müdes Lächeln übrig hat und das Gebotene als „Kinderfootball“ abtut. Doch immerhin stellt die CFL für viele College-Stars, die von der NFL als zu schwächlich oder zu klein eingestuft wurden, eine Alternative für den Beginn ihrer Profikarriere dar.
Der bekannteste US-Boy, der in Kanada sein Glück versuchte, ist Doug Flutie. Der 35jährige, gerade 1,75 Meter große und kaum 80 Kilo schwere Quarterback (Spielmacher) war in den 80ern ein gefeierter US-College-Star, doch die NFL traute ihm nicht viel zu. Was blieb ihm also anderes übrig, als nach Kanada ins „Exil“ zu gehen? Zwischen 1990 und 1997 heimste Flutie in der CFL nicht nur Lob, sondern auch drei Meistertitel ein, doch zum Ende seiner Karriere will er es noch einmal wissen: Bei den Buffalo Bills möchte Flutie nun seine Laufbahn in der NFL krönen, und selbst wenn er dort nur eine Reservistenrolle übernehmen wird, bedeutet für die über hundert Jahre alte CFL allein die Aufnahme ihres Superstars in die berühmte Liga des Nachbarlandes eine Anerkennung.
„Wir wollen und können der großen NFL nicht das Wasser reichen“, meinte einmal der ehemalige Liga-Commissioner Larry W. Smith, und dementsprechend versucht die CFL auch, sich eine eigene Nische in der nordamerikanischen Sportwelt zu erobern. Zusammenarbeit mit der NFL, als offizielle Aufbau- und Ausbildungsliga, will man nicht ausschließen, aber unter der Voraussetzung, daß man „radically canadian“ bleiben darf. Dazu gehört auch, daß man schon im Juni mit der Saison beginnt. Wenn in den USA American Football erst so richtig in Gang kommt, spielen in Kanada die beiden Topteams schon um den Grey Cup – die Super Bowl der CFL. Gerade rechtzeitig, denn wenn die ersten Schneestürme übers Land fegen und die Landschaft monatelang unter einer weißen Decke versinkt, kann nur noch Eishockey die kanadische Seele erwärmen. Peter Kränzle, Margit Brinke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen