piwik no script img

American PieHart wie ein Nagel

■ Allen Iverson läßt die Basketballfans in Philadelphia aus dem Häuschen geraten

Ein bißchen Wehmut konnte Julius Erving nicht verbergen. Da saß er im First Union Center von Philadelphia und erlebte von der Tribüne aus, wie ein kleiner tätowierter Bursche mit „Maisfeldfrisur“ (USA Today) die Halle so zum Kochen brachte, wie er selbst es einst in seiner Inkarnation als Dr. J zu tun pflegte. Erving führte die Philadelphia 76ers 1983 gemeinsam mit Center Moses Malone zu ihrem letzten NBA-Titel, heute ist er Vizepräsident bei den Orlando Magic. In dieser Funktion hatte er wenig Freude an seiner alten Wirkungsstätte, denn Orlando spielte in der ersten Runde der Playoffs meist nur eine Statistenrolle bei der „Allen-Iverson-Show“ (Magic-Coach Chuck Daly).

Man kann es den Basketballfreunden in Philadelphia nicht verdenken, daß sie ausrasten. Seit Julius Erving hatten sie kaum noch Grund zum Jubeln, erst mit Iverson, der vor einigen Wochen einen Siebenjahresvertrag über rund 70 Millionen Dollar bei den 76ers unterschrieb, ist ihre Mannschaft wieder auf dem besten Weg zum Meisterschaftsaspiranten. „Moses hat uns in das Gelobte Land geführt“, war auf einem Transparent in Anspielung auf Malone zu lesen, „Allen wird es tun.“

Sicher noch nicht in diesem Jahr. Am Montag verloren die 76ers ihr erstes Match der Viertelfinalserie bei den Indiana Pacers zwar nur knapp mit 90:94, aber ihre Defizite traten deutlich zutage. Während die Pacers über eine Fülle von Optionen in der Offensive verfügen und zum Beispiel ein Reservespieler, Jalen Rose, mit 27 Punkten ihr Matchwinner war, reduziert sich bei den 76ers fast alles auf Iverson. Mit Miller, Jackson, Best und McKey verschliß er vier Verteidiger und erzielte 35 Punkte, war aber wenig effektiv im zweiten und dritten Viertel, als sich Indiana eine Führung von bis zu 13 Punkten herausarbeitete, die am Ende nicht mehr aufzuholen war.

Zwar hat Coach Larry Brown durch Iversons Versetzung vom Spielmacherjob auf den Posten des Shooting Guard die Effektivität seines Stars gesteigert, doch ähnlich wie dem frühen Michael Jordan bei den Chicago Bulls fehlt ihm ein kongenialer Partner vom Schlage Pippen. Vor allem benötigen die 76ers einen guten Distanzwerfer, bei den Dreiern sind sie das zweitschlechteste Team der Liga.

Als Allen Iverson vor drei Jahren in die NBA kam, mußte er sich eine Menge Kritik wegen seiner selbstsüchtigen Spielweise und seinem Mangel an Ehrfurcht vor den älteren Spielern anhören. Mit 23 Jahren ist er inzwischen erheblich reifer. Brav erklärte nach einem Spiel gegen Detroit, welch gewaltigen Respekt er vor Joe Dumars habe, der seine Karriere nach dem Ausscheiden der Pistons aus den Playoffs beendet hat. Nunmehr zetert nur noch Charles Barkley gegen den 1,83 Meter großen Irrwisch. „Ich kann den Kerl nicht ausstehen“, giftete unlängst der 35jährige, einst selbst Hoffnungsträger der 76ers. Iverson keilte – Reife hin oder her – in bewährter Spielplatzmanier zurück. „Ich kann seinen fetten Arsch auch nicht leiden“, verkündete er und scheute sich auch nicht, alte Kamellen auszugraben: „Er hat doch nichts getan außer Motherfucker aus dem Fenster zu werfen und kleine Kinder anzuspucken.“ Dann legte er den Finger zielsicher auf den schmerzlichsten Makel in Barkleys Karriere: „Für mich stiehlt er Geld. Er war so lange in der Liga und hat nie eine Meisterschaft gewonnen.“ Dabei wird es wohl auch bleiben. Während Charles Barkley nach dem Scheitern der Houston Rockets viel Zeit zum Golfspielen hat und sich mit Rücktrittsgedanken trägt, ist Allen Iverson auf dem besten Weg, den 76ers zu alter Größe zu verhelfen. „Er ist hart wie ein Nagel“, sagt Chuck Daly über den kleinsten NBA-Topscorer aller Zeiten, „man muß ihn einfach lieben.“ Matti Lieske

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen