American Pie: Unheiliger der Körbe
■ Latrell Sprewell braucht nicht lange, um neue Unruhe bei den Knicks zu stiften
Singin this will be the day that I die
Der Basketballspieler Latrell Sprewell von den New York Knicks hegt eine große Vorliebe für jenen Spielzug, der in den USA gern als „Coast to Coast“ bezeichnet wird: In der eigenen Hälfte dem Gegenspieler den Ball entwenden, nach vorne stürmen und die Kugel mit windmühlenartigem Armschwung in den Korb schmettern. So sehr ist ihm diese spektakuläre Aktion in Fleisch und Blut übergegangen, dass er auch im Privatleben nicht mehr darauf verzichten mag. Nach einem Gerichtstermin vergangene Woche in Kalifornien flog er nicht nach New York, sondern fuhr – coast to coast – mit seinem schicken Mercedes-Benz Sedan, den er nicht in fremde Obhut geben mochte. Was dazu führte, dass er sieben Tage zu spät im Trainingslager der Knicks in Charleston, South Carolina, eintraf.
Besonders beunruhigt waren der neue Generalmanager Scott Layden und Coach Jeff van Gundy darüber, dass Sprewell in der ganzen Zeit nichts von sich hören ließ. Seinen Anrufbeantworter ignorierte er, und die Zeitungen, deren Sportseiten einige Tage lang den Charakter von Suchmeldungen annahmen, ebenso. Was man ihm nicht verdenken kann, schließlich hat er bei den amerikanischen Sportjournalisten nach seinem Würgegriff gegen Trainer Carlesimo bei den Golden State Warriors die Nachfolge des vollends ins Lächerliche gerutschten Dennis Rodman als bösester Basketballbube angetreten. Vor allem die sich gern hoch moralisch gerierenden New Yorker Gazetten erhoben Sprewells relativ schwache Auftritte in der verkorksten regulären Saison der Knicks zur verdienten Strafe für seinen schlechten Charakter. Alles änderte sich, als New York plötzlich in den Playoffs für Furore sorgte, erst im Finale gegen San Antonio verlor und „Spree“ zum besten Spieler avancierte. Die Moralapostel krochen zu Kreuze und priesen den vormals so wortreich Verabscheuten plötzlich als Heiligen der Körbe.
Latrell Sprewell brauchte nicht lange, um seinen Kredit zu verspielen. „Für mich ist das keine so große Sache, wie alle tun“, sagt er wenig reumütig und durfte sich durch 8.000 Fans bestätigt sehen, die ihn bei seinem ersten Training jubelnd begrüßten. Er hat die Rechnung jedoch ohne Coach van Gundy gemacht, der die Verspätung zur Staatsaffäre erhob und verlangt, dass sich der Spieler vor versammelter Mannschaft entschuldigt. Dazu hat Sprewell wenig Lust. „Ich liebe keine großen Reden“, sagt er, betont aber nochmals, dass es sich um keinen demonstrativen Akt gehandelt habe. Hintergrund derartiger Spekulationen ist Sprewells Vertrag, der nächstes Jahr ausläuft und einer Verlängerung harrt. Man sei begierig, möglichst schnell in Verhandlungen zu treten, hatte Knicks-Präsident Dave Checketts erklärt – vor Sprewells Selbstbeurlaubung.
Van Gundy fürchtet zudem, dass sich die Knicks vollends in eine Pro- und eine Anti-Sprewell-Fraktion spalten könnten. Äußerungen von Spielern deuten Solches an. „Wir wollen etwas von ihm hören“, insistiert Allan Houston, und selbst Sprewell-Kumpel Marcus Camby meint, es müsse eine Aussprache geben und lässt anklingen, einige Spieler seien mächtig sauer über Sprees Eskapaden. Van Gundy wäre es nur recht, wenn eine frühzeitige Disziplinierung seines größten Unruhestifters durch die Kollegen erfolgen würde. „Leistung und Gewinnen, nur das zählt“, doziert der Coach, „und dazu sind bestimmte Anstrengungen und Verantwortlichkeiten nötig. Es geht nicht um einen, sondern um alle.“
In New York wird nach der Vizemeisterschaft nun der Titel erwartet. Die Hoffnung, dass ein homogenes, gefestigtes Team ruhig und gelassen im Stile der San Antonio Spurs dieses Ziel angehen könnte, ist jedoch zerstoben, bevor sie richtig Fuß fassen konnte. Jeff van Gundy weiß das nur zu gut. „Diese Sache wird bald vorbei sein“, sagt er zur Affäre Sprewell, „und in ein paar Tagen haben wir eine neue Kontroverse.“
Matti Lieske
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