American Pie: Geliebtes Remis
■ Eishockey: Zwei Spieler weniger auf dem Eis machen Verlängerung zum Spektakel
And do you have faith in God above
Die NHL ist zurzeit vermutlich die einzige Liga der Welt, in der selbst die einheimischen Fans mitunter hoffen, dass es am Ende der regulären Spielzeit unentschieden steht. Dann nämlich gibt es Verlängerung, und die wird im US-Eishockey seit Beginn der laufenden Saison mit je einem Mann weniger gespielt. Vier gegen vier statt des üblichen fünf gegen fünf, was in erster Linie bedeutet: Mehr Platz auf dem Eis, mehr Kombinationen, mehr Torschüsse, mehr Torwartparaden. Summa summarum: blendende Stimmung in der Halle.
„Es macht das Ende des Spiels sehr unterhaltsam“, findet Sergej Fedorow von den Detroit Red Wings. „Das ist fantastisch“, pflichtet sein Kollege Jaromir Jagr von den Pittsburgh Penguins bei und fügt innovativ hinzu: „Man sollte das auch in den ersten fünf Minuten machen.“ Kein Wunder, dass der Russe und der Tscheche begeistert sind. Beide sind schnelle, technisch perfekte Stürmer, und solche Spieler haben klare Vorteile durch die die neue Regel, da es mehr Eins-gegen-eins-Situationen gibt.
Statt wie bisher ihre Defensivspezialisten in der Verlängerung aufs Eis zu schicken, bringen die meisten Trainer nun ihre besten Offensivkräfte. Spielerisch starke Mannschaften riskieren es sogar, drei Stürmer und nur einen Verteidiger einzusetzen, um für mehr Angriffsschwung zu sorgen. „Mir gefällt's ja nicht“, sagt leicht scherzhaft Manager Bryan Murray von den Florida Panthers, dessen Team nicht gerade für ausgeprägte Puckfertigkeit bekannt ist, aber selbst er sieht ein: „Es ist gut für die Fans, gut für das Fernsehen.“
Gesteigert wird die Offensivfreude der Teams auch dadurch, dass jedes Team auf jeden Fall einen Punkt bekommt, wenn es nach 60 Minuten unentschieden steht. Der in der Verlängerung ausgespielte Extrazähler fällt nur ins Gewicht, wenn es gegen ein Team aus der eigenen Division oder Conference geht. „In der Vergangenheit“, so Detroits Manager Ken Holland, „war es das klare Ziel, nicht den Punkt für das Unentschieden zu verlieren und irgendwie die fünf Minuten rumzubringen.“ Die Folge war, dass die Overtime meist zu einer öden Angelegenheit wurde und nur etwa jedes vierte Match noch einen Sieger fand. In den ersten drei NHL-Wochen endeten von den ersten 22 Overtime-Partien zwar auch nur fünf mit einer Entscheidung. Um diesen Wert zu erreichen, wurden letztes Jahr aber immerhin 41 Matches gebraucht. Die Anzahl der Torschüsse in der Verlängerung stieg von 3,7 im Schnitt auf 5,6. Ein Grund, warum trotzdem nicht erheblich mehr Tore fallen, liegt darin, dass die Torhüter eine bessere Sicht auf den Puck haben.
Die Zuschauer jedenfalls sind begeistert und feierten manch spektakuläre Verlängerung schon mit Standing Ovations. Angesichts solcher Euphorie dauerte es nicht lange, bis sich jemand mit einem ebenso nahe liegenden wie ketzerischen Vorschlag zu Wort meldete. „Wenn es so aufregend ist“, fragte Ted Leonsis, der neue Besitzer der Washington Capitals, „warum machen wir es nicht das ganze Spiel hindurch?“ Matti Lieske
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen