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American Football in BerlinFamilienfest mit Gesundheitsrisiko

American Football erlebt in Deutschland einen Aufschwung. Auch hierzulande spielen Diskussionen um Verletzungensgefahren eine Rolle.

Voller Einsatz für den Titelgewinn: Braunschweigs Casey Theriault behält die Pille Foto: imago / Matthias Koch

„Als ich das Knacken im Finger gespürt habe, wusste ich, dass wir heute gewinnen“, sagte Siegfried Gehrke unmittelbar nach dem Gewinn des German Bowl. Der Sportdirektor der Schwäbisch Hall Unicorns interpretierte die Kapselverletzung am Finger, die er sich beim Jubeln zuzog, als gutes Omen. Die erste Meisterschaft der Vereinsgeschichte hatte er 2011, noch als Cheftrainer, auch mit gebrochenem Finger eingefahren.

Allerdings sind Verletzungen im American Football ein ernstes Thema. Die nordamerikanische Profiliga NFL musste wegen auffällig vieler früh verstorbener Spieler bereits eine Milliarde Dollar Entschädigung zahlen. Die vielen harten Zusammenstöße und Gehirnerschütterungen hätten bei den verstorbenen Ex-NFL-Profis die Chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE) ausgelöst. Studien wiesen die degenerative Krankheit in nahezu allen untersuchten Gehirnen nach.

In Deutschland wird bislang in einem Fall ein ähnlicher Zusammenhang vermutet. Bei Erich Grau, erstem Quarterback der Nationalmannschaft und späterem Sportdirektor des deutschen American Football Verbands AFVD, werden einige Symptome von CTE beschrieben.

Doch beim German Bowl im Berliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, dem großen Familienfest der deutschen Footballer, spielt das keine Rolle. Die mehr als 13.000 Zuschauer trotzen dem strömenden Regen und feiern ihren Sport. Obwohl die beiden besten Mannschaften Europas aufeinandertreffen, dominieren zahlreiche entglittene Bälle, hektische Fehlentscheidungen beim Zeitmanagement und ein unglücklich agierendes Special Team der eigentlich besseren Löwen aus Braunschweig.

Besser als die US-Soldaten

Schwäbisch Hall setzt sich schließlich knapp mit 14:13 (7:13) durch. Aber die Einhörner müssen dafür auch leiden. Wide Receiver Nathaniel Robitaille fängt Bälle, die den anderen immer wieder durchrutschen. Doch bei einem fairen Tackle staucht er unglücklich zusammen, muss das Spielfeld mit einer Halskrause verlassen. Nach einer längeren Untersuchung schicken die Mediziner ihn zur zweiten Halbzeit wieder aufs Feld. Es sei nur ein eingeklemmter Nerv an der Schulter gewesen, heißt es später. „Früher hätten wir ihn umgehend wieder spielen lassen“, gibt Sportdirektor Gehrke zu, gerade in einem solchen Spiel. Aber mittlerweile lasse man mehr Vorsicht walten.

Auch Christian Piwarz, Pressesprecher des Verbands, betont die Veränderungen. Harte Hits mit dem Helm voraus sind mittlerweile verboten und werden extra bestraft. Spieler, die eine Gehirnerschütterung erlitten haben, müssen sich einem sogenannten Concussion Protocol unterziehen und länger als zuvor pausieren. Und in der Trainerausbildung wird sogar eine neue Tackling-Technik gelehrt. All das wird auch in Deutschland umgesetzt, erklärt Piwarz. Obwohl die Spieler in der NFL schneller, stärker, schwerer sind. „Dennoch ist die Verletzungsgefahr hier genauso groß“, glaubt Gehrke, „denn in den USA werden die Spieler von frühauf besser geschult.“

Dabei sind die Strukturen in Deutschland stetig besser geworden, „mittlerweile kann hier längst nicht mehr jeder College-Spieler oder in Deutschland stationierter US-Soldat einfach mithalten“, sagt etwa Stadion­sprecher Roman Motzkus. Der 48-Jährige gewann Anfang der 1990er Jahre drei Meistertitel mit den Berlin Adlern und fing mehr als 100 Touchdowns. Heute trägt er vor allem als Fernsehkommentator zur steigenden Popularität der Sportart in Deutschland bei.

Zu den Risiken seines liebsten Sports sagt Motzkus: „Es ist gut, dass darauf mittlerweile aufmerksam gemacht wird.“ Er betont aber auch, dass man die mehreren Hundert Betroffenen mit den Hunderttausenden Football-Spielern in Relation setzen müsse. Und man wisse auch noch zu wenig über die Krankheit.

Motzkus vergleicht die zahlreichen Zusammenstöße mit einem Motorradunfall: „Da trägt man ja auch einen Helm, aber würde nicht immer wieder freiwillig mit ihm aufschlagen.“ Und Motzkus hat noch einen anderen Vergleich: „Am Ende wollen die Zuschauer doch das Spektakel, es ist ein moderner Gladiatorenkampf, nur dass hier niemand absichtlich verletzt.“ Außer vielleicht Siegfried Gehrke am Finger beim German Bowl.

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