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Ambros Waibel Der WochenendkrimiWenn selbst Tarantino’s Filme nicht mehr richtig kicken

Es war als Event gedacht. Chips und Spezi standen bereit für die Jungs und ein kaltes Bier für mich: Zum ersten Mal „Pulp Fiction“ mit meinen Söhnen gucken, darauf hatte ich mich gefreut. Es sollte das Weitergeben einer Generationenerfahrung sein, ein Glücksmoment – und natürlich wurde es eine Enttäuschung für alle. Wann es denn mal richtig losginge, sagten meine Söhne nach einer Viertelstunde.

Schon vorher hatte ich ihre Unruhe bemerkt, und ich selber sah plötzlich wie durch ihre Augen, wie 90er relaxt das alles seinen Gang nahm. Das Experiment wurde abgebrochen und auf später vertagt.

Ob ich der Sache jetzt nochmal eine Chance geben sollte, mit dem Arte-Schwerpunkt „Quentin Tarantino – Knochenhartes Kino“? Einen konkreten Anlass habe ich nicht entdecken können über den 1963 geborenen und 1992 mit „Reservoir Dogs“ ins Scheinwerferlicht getretenen Regisseur und Autor.

Also eher nicht – nicht nur deswegen nicht, weil es inzwischen meine Mitzwanziger-Söhne sind, die mir neue kulturelle Welten aufschließen statt umgekehrt; sondern, weil ich beim TV-Gucken von „Jackie Brown“ (1997) durchaus auch meine eigenen Problem hatte, bei der Stange zu bleiben.

Was nicht nur am nicht so leicht nachvollziehbaren Plot liegt – wem wird jetzt nochmal welches Geld, das wer markiert hat, wann abgenommen beziehungsweise übergeben? –, sondern auch daran, dass Tarantino in diesem Film (und in den folgenden Filmen noch mehr, vielleicht schon immer) in my humble opinion gegen die zentrale Maxime verstößt, die der Vorlagengeber von „Jackie Brown“ – Elmore Leonard, der „Dickens aus Detroit“ – mit seinem Roman „Rum Punch“ so gefaßt hat: „If it sounds like writing, I rewrite it.“

Mich haben diesmal jedenfalls die Nebenfiguren, insbesondere die Darstellung von Bridget Fonda (Melanie) und Robert De Niro (Louis Gara), deutlich mehr fasziniert als die Story, der Style und die coolen Gangster-und-Cop-Moves; und erst jetzt verstehe ich eben, was Robert Forster (Max Cherry) wirklich fühlt, wenn er die 44-jährige Jackie Brown aus seinen großen braunen Jungsaugen anschaut. Max ist 57 – so alt werde ich dieses Jahr auch –, und Jackie ist die letzte Frau, die ihn so küssen wird, wie sie es am Ende des Films eben tut.

Erst jetzt verstehe ich, was Max Cherry fühlt, wenn er Jackie Brown aus seinen großen braunen Jungsaugen anschaut

Der Arte-Schwerpunkt umfasst neben „Jackie Brown“ noch „Reservoir Dogs“, „Kill Bill Vol. 1“, „Kill Bill Vol. 2“ und „Death Proof“ sowie die Dokumentation „QT8 – Quentin Tarantino – The First Eight“. Genug Material also für eine Retrospektive, der man dann gleich noch eine Neusichtung der Schriftsteller folgen lassen könnte, die Tarantino inspiriert haben, neben Elmore Leonhard vor allem Charles Willeford.

Ich vermute, dass sich auch da eine gewisse Fremdheit einstellen wird, die der meiner Söhne damals entgegengesetzte: Die Spannung, die Krimis in mir erzeugen, kann ich nicht mehr so richtig genießen, die Brutalität finde ich nicht mehr lustig, das plotgetriebene Erzählen lässt mich zusehend kalt – und wie habe ich das alles geliebt und gepriesen!

Wahrscheinlich würde auch ich eben wie Robert Forster nicht mehr den Mut haben, alles stehen und liegen und lassen, um nur Jackie zu folgen. Aber im Leben, wie im Roman übrigens auch, bleibt zum Glück alles offen:

„Max hesitated.

‚Where would we go?‘

‚I dont know‘, Jackie said, and he saw her eyes begin to smile. ‚Does it matter?‘“

„Quentin Tarantino – Knochenhartes Kino“, Arte-Mediathek

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