Am liebsten schön weich: Unromantisch, aber tiergerecht
Große moderne Ställe ermöglichen eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Rinder. Die mögen das, weil sie fast nie schlafen
Jörg Haafke geht an Heiligabend in den Stall statt in die Kirche. „Da ist eine total geile Atmosphäre“, findet der Biolandwirt aus Willingshausen, der sich für ökologische Tierhaltung engagiert. Haafke und seine Partnerin haben 17 Kühe, zehn Schweine und an die 30 Schafe – eine Größenordnung, bei der man es sich vorstellen kann, dass es im Stall gemütlich zugeht.
Die Regel ist das nicht. Im Schnitt stehen laut der letzten Landwirtschaftszählung 2010 rund 95 Rinder in deutschen Ställen. Die ausgeklügelten Gebäude werden von spezialisierten Firmen gebaut wie etwa der Firma Wolf aus dem niederbayerischen Osterhofen, die auch Fertighäuser baut, oder der österreichischen Firma Schauer, die vom Plan bis zur Bürste, an der sich die Rinder den Buckel kratzen können, alles im Angebot hat.
Dabei ist die Art der Haltung stark im Wandel begriffen. Über Jahrhunderte hinweg wurden Rinder im Stall angebunden. „Es sind sich alle einig, dass dieses Haltungsform auslaufen soll“, sagt Hans Marten Paulsen vom Institut für ökologischen Landbau im schleswig-holsteinischen Trenthorst.
2010 waren schon mehr als zwei Drittel der Rinder nicht mehr in ihren Boxen festgebunden, sondern standen in sogenannten Laufställen. Dort haben sie zwar in der Regel eine Box, um sich zurückzuziehen und zu ruhen, zum Fressen gehen sie aber zu einem besonderen Fressplatz.
Die Struktur eines typischen Laufstalls sieht in etwa so aus: In der Mitte erstreckt sich in Längsrichtung ein „Futtertisch“, eine lange, mit dem Trecker befahrbare Gasse, an deren Rändern das Futter aufgehäuft wird. Die Gasse wird begrenzt durch ein Gitter, durch das die Rinder ihre Köpfe stecken, jedes für sich, um fressen zu können, ohne mit dem Nachbarn zu streiten.
Die Kühe stehen dabei in einer Lauf- und Fressgasse, in die sie auch scheißen und seichen. Jenseits davon liegen idealerweise gepolsterte, mit Stahlbügeln voneinander getrennte Boxen, in denen die Rinder ruhend wiederkäuen können.
Die Laufgasse ist entweder mit einem Spaltenboden versehen, durch den Kot und Jauche in einen unterirdischen Tank sickern können. Bei geschlossenen Böden zieht ein Seil oder eine Kette einen Schieber durch die Gasse und drückt die Gülle in einen Kanal, der zu einem Tank führt.
Christiane Brandes, Innovationsteam Heiddorf
Als Alternativen zu diesem Boxenlaufstall für Milchkühe gibt es Tiefstreu- und Tretmistställe ohne Boxen. Hier können sich die Tier auch beim Ruhen den Platz frei aussuchen. In einem Tretmiststall ist die Liegefläche um fünf bis zehn Prozent geneigt, so dass Mist von den Tieren automatisch in Richtung Mistgang getreten wird. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Kühe nicht so viel Platz haben wie in einem Tiefstreustall.
Zu den Ställen für Milchkühe gehören außerdem Boxen für das Kalben und für kranke Tiere. Dazu kommen besondere Melkhäuser.
Allen Klagen über eine industrialisierte Landwirtschaft zum Trotz scheinen diese modernen Ställe zumindest bei der Rinderhaltung große Fortschritte in puncto Gesundheit und Bequemlichkeit für die Tiere mit sich zu bringen. Die großen Ställe mögen anonym und unromantisch sein – doch dafür sind sie sauber, luftig und tiergerechter als die alten dunklen und engen Anbindeställe.
„Die Haltung in Laufställen kann ein sehr tiergerechtes Verfahren sein, wenn sie mit Weidegang oder einem Auslauf in den Wintermonaten verbunden ist“, heißt es in einem Papier des Deutschen Tierschutzbundes, „wenn die Laufflächen und Boxen eingestreut sind, den rangniederen Tieren genug Ausweichmöglichkeiten angeboten werden und die Abmessungen der Größe der Tiere entsprechen.“
Dass Kühe jahrhundertelang angebunden gehalten wurden, sei kein Grund, mit dieser Praxis, die es vor allem noch in Süddeutschland gibt, fortzufahren, findet Christiane Brandes vom Innovationsteam im mecklenburgischen Heiddorf, das Milchviehhalter beim Stallbau berät. „Wir haben jetzt ein Evolutionsniveau erreicht, das Raum dafür lässt, dass man über die Kühe nachdenkt.“
Kühe haben es gern kühl. Deshalb sind neue Ställe zu den Seiten hin offen, sodass die Tiere Licht und Luft bekommen, und sie bieten idealerweise ein paar Hektar Grünland, sodass die Tiere den Stall auch mal verlassen können. Dabei seien die Kühe gar nicht so versessen drauf, rauszugehen, sagt Brandes: „Die Kuh ist grottenfaul.“
Dazu kommt, dass es draußen nicht unbedingt angenehmer ist als in einem guten Stall. „Wenn es heiß wird, frisst die Kuh nichts“, sagt Brandes. In einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern werde es im Sommer manchmal schon problematisch.
Das bedeutet, dass auch eine Weide den Tieren die Möglichkeit geben sollte, sich vor der Witterung zu schützen, etwa mit einem Unterstand. „Wenn ich in der Schweiz wandere, kriege ich jedes Mal zu viel“, sagt die Beraterin. Die Kühe würden sich an der stechenden Höhensonne ebenso verbrennen wie Menschen.
Die Ställe sollten trockene, stufenlose Laufwege bieten, sodass die Tiere nicht stolpern und ausrutschen. Denn Kühe sehen unscharf und nehmen als Fluchttiere vor allem wahr, was sich bewegt. Damit, Hindernisse vor sich zu erkennen, tun sie sich schwer. Trockene Lauf- und Fressgänge halten zudem die Klauen gesund.
Brandes, die „Kuhkomfort“ propagiert, empfiehlt dick mit einem Stroh-Kalk-Gemisch ausstaffierte Liegeboxen. „Mit Kunden gehen wir in die Box und lassen uns reinfallen“, erzählt sie. Wenn man sich fallen lassen kann, ohne sich weh zu tun, passt es für die Kuh. „Je weicher die Liegefläche, desto länger liegt die Kuh“, sagt Brandes. Das ist aus Sicht des Bauern gut, weil die Kuh genug damit gefordert ist, Milch zu produzieren. Um einen Liter Milch zu erzeugen, müssen 500 Liter Blut durch das Herz gepumpt werden. Brandes findet „die Kuh total faszinierend, was die physiologische Leistung angeht“.
Sollen solche Rinder 10.000 Liter Milch im Jahr geben, wie vom heutigen Hochleistungsvieh gefordert, führt kaum ein Weg daran vorbei, die Ställe groß zu machen. „Nach sechs bis sieben Stunden ist das Euter voll“, sagt Brandes. Nur große Betriebe könnten das Personal vorhalten, um die Tiere dreimal am Tag zu melken. Sie könnten es sich leisten, die Fressgasse einmal pro Stunde sauber zu machen und die Kühe zwölfmal am Tag zu füttern.
Ein großer Stall kommt auch der Natur der Rinder entgegen. Sie schlafen maximal 30 Minuten am Tag tief und lieben es deshalb, rund um die Uhr betreut zu werden. Außerdem fühlen sie sich in großen Herden wohl.
Dazu kommt der wirtschaftliche Druck durch die Liberalisierung des Milchmarktes. Nur Betriebe mit mindestens 80 Stück Milchvieh hätten die Chance, die nächsten fünf Jahre zu überstehen, meint Brandes.
Vollends das Genick breche den kleinen Milchviehaltern der Aufwand, der mit der Genehmigung eines neuen Stalls verbunden sei, meint Brandes. „Wegen zwei Zentimetern, die an Futtertischlänge fehlen, kriegen sie einen Stall nicht genehmigt.“
Die Konsequenzen kann man sich leicht ausrechnen. „Viele“, sagt Brandes, „hören dieser Tage auf.“
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