Am Montag hat die deutsche Ausgabe der „Financial Times“ Premiere. Sie ist die erste überregionale Zeitungsgründung in Deutschland seit der taz. Meinungsstark will sie sein. In der Hauptredaktion wird das noch geübt ■ Aus Hamburg Steffen Grimberg: Das Kapital hat ein neues Organ
„Das war’s. Der Start ist verschoben“. Gesichter blutentleeren sich in Sekunden, Entsetzen packt die Redaktion – doch halt: Der Chef vom Dienst (CvD) hat nur einen Witz gemacht. Durchatmen, weitermachen. Drei Tage vor Erscheinen der ersten Ausgabe der Financial Times Deutschland (FTD) liegen am Stubbenhuk vis-à-vis des Hamburger Hafens die Nerven blank.
Immerhin: Deutschlands erste überregionale Zeitungsgründung seit der taz (1979) ist auf Kurs, am Montag brechen an den Kiosken lachsrosa Zeiten an.
Bis dahin wurde – so will es die Legende – so manches Mal ausgiebig gefrühstückt: Zuerst 1997, als David Bell, Chef der Financial Times Group, die Vision einer neuen täglichen Wirtschaftszeitung für Deutschland mit den Gruner + Jahr-Abgesandten bei Marmeladenbrötchen unter griechischer Morgensonne und eher beiläufig entwickelte. Als das Projekt ein Jahr später an Bells Nachfolger Stephen Hill zu scheitern drohte, überzeugte der heutige FTD-Chefredakteur Andrew Gowers die Chefin der britischen Pearson-Gruppe, Majorie Scardino, von Sinn und Zweck des Ganzen – beim Breakfast. Mit Erfolg: Ab 1999 saß er in Hamburg, warb Wirtschaftsjournalisten en gros bei der Konkurrenz ab und bescherte der Branche Traumgehälter. Nur der Starttermin wurde immer wieder hinausgeschoben.
Das „Schreiben mit Urteil“ klappt noch nicht ganz
Natürlich wären alle froh gewesen, wenn es früher geklappt hätte, aber es hat eben lang gedauert bis zum common sense, der britischen Anspruch und deutsche Traditionen unter einen Hut bringen soll. Chefredakteur Gowers, britisch bis zum Ring am kleinen Finger, aber wegen seines Faibles zu Deutschland in der Londoner Financial-Times-Zentrale „der Preuße“ geheißen, sieht’s gelassen: „Das war keine prinzipielle Frage, sondern eine Frage der Übung. Und deswegen haben wir so lange geübt.“ Gerungen wird vor allem um den von Gowers geforderten Standpunkt, das „Schreiben mit Urteil“. „Kontextparagraf“ heißt das im Redaktions-Jargon, und der führe noch häufig zum Kulturkampf, meint ein Redakteur: „Da schreibt die Fraktion frisch und frech gegen die alten Haudegen, für die Wirtschaftsjournalismus gar nicht trocken genug sein darf.“ Was nichts mit dem Alter zu tun hat, sondern eher mit der bisherigen Laufbahn: Fast alle in der Redaktion sind um die 35 Jahre alt, könnten in ihrer Herkunft aber nicht unterschiedlicher sein – von den Vereinigten Wirtschaftsdiensten (vwd), Handelsblatt und Wirtschaftsagenturen bis zu Zeit und taz ist alles vertreten. „Einen echten Standpunkt sucht man bei den meisten Artikeln aber verzweifelt – du möchtest weinen“, klagt ein Produktionsredakteur, der kurz vor dem simulierten Redaktionsschluss die Artikel zur fertigen Seite zusammensetzt und zumindest durch die Überschriften noch ein bisschen Farbe ins Blatt zu bringen versucht. Dabei legt das Blatt insgesamt großen Wert auf Meinung. Kommentare finden sich gleich auf drei Seiten, die Leitartikel sind nach britischem Vorbild nicht einzelnen Autoren zugeordnet, sondern stehen für die gesamte FTD-Redaktion.
Kompakt und übersichtlich will Chefredakteur Gowers sein Blatt halten – welcher Unternehmer hat schon Zeit zum Zeitunglesen? Was also wesentlich und somit berichtenswert ist, bestimmen rund 100 RedakteurInnen, davon 60 in der Hamburger Zentrale, der Rest in Berlin (Politik) und Frankfurt (Finanzmärkte) – und natürlich auch das Mutterblatt in London. Dazu kommt eine eigene Online-Redaktion. Die FTD kann auf alle Büros, Korrespondenten und Spezialisten der FT zugreifen, rund ein Zehntel der Beiträge in den seit Oktober produzierten Testzeitungen („Dummies“) ist aus der großen Schwester übersetzt.
Am vergangenen Mittwoch ist einer dieser Texte auch eine Stunde nach Seitenschluss noch in der Übersetzung – und, endlich fertig, natürlich viel zu lang. Im „Newsroom“, wo alle Seiten der FTD gebaut und am so genannten „Balken“ von den CvDs und der Chefredaktion abgenommen werden, ist ab dem frühen Abend dicke Luft: „Diese Übersetzungen bringen mich noch um“, motzt der Produktionsredakteur, dann wandert auch noch die Geschichte über den angschlagenen Bohrmaschinenhersteller Flowtex auf die Titelseite, ein Loch klafft auf der „Drei“ – Hektik macht sich breit. „Wenn alle ihre Texte erst so spät schicken, können wir das nur noch so ins Blatt heben“. Und irgendwer hat natürlich wieder vergessen, Yen in Euro umzurechnen.
Über allem schwebt per Deckenmonitor als Leitmedium ausgerechnet der Videotext von ARD und ZDF, Herr Schäuble erläutert das Was und Wie seines Rückzugs von allen Ämtern, und der Produktionsredakteur sagt schon mal das Abendessen ab. Manchmal wird der Ton auch ruppig: „Penner! – Wer hat das Farbbild auf die 34 gestellt?“, tönt’s vom „Balken“, aber der Ressortchef beruhigt: „Noch sind wir ja nicht auf dem Markt.“
Jede Minute zählt, und die Schlusszeiten sind heilig: Mit 22.30 Uhr für die aktuellsten drei Seiten kann die FTD noch gerade eben den Börsenschluss in New York mitnehmen, gedruckt wird 20 Minuten später in Berlin, Hagen, Augsburg und Mannheim – und zwar die komplette Ausgabe.
Die Werbebuchungen sind sehr vielversprechend
Überregional ist bisher keiner schneller, Luft für die kleine Verschiebung des Redaktionsschlusses nach hinten ist hier aber auch kaum mehr drin. Und der Praxistest mit voller Startausgabe von rund 50.000 Exemplaren steht noch aus. „Frischzellenkur? Mach ich auch in zwei Wochen!“, blödelt ein Blattmacher mit Blick auf einen TV-Spot, aber Chefredakteur Gowers ist angesichts des brummenden Ladens die Zuversicht in Person: „Es gab Momente, da habe ich mich gefragt, kommt das? Aber jetzt ist es da.“, sprichts und verabschiedet sich nach Berlin, wo am nächsten Morgen der Bundeskanzler interviewt wird.
„Unser Echo bei Ministern und Parteien ist riesig“, meint Thomas Hanke, Chef der Berliner Redaktion, die für den politischen Teil der FTD verantwortlich ist. Und auch in Sachen Anzeigenschaltung können die Konzerneltern hinter der Neugründung, Deutschlands Verlagsriese Gruner + Jahr und die Pearson-Gruppe in England, zufrieden sein: Die FTD profitiert vom allgemeinen Wirtschafts-Hype, die Werbebuchungen sind vielversprechend.
Jetzt fehlen nur noch die Leser. Denn ob die allgemeine Euphorie so weit geht, dem in Deutschland ohnehin unterbelichteten Genre Wirtschaftstageszeitung zum Durchbruch zu verhelfen und dabei gleich einen zweiten Titel im Markt zu dulden, zeigt sich erst ab kommenden Montag.
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