robin alexander über Schicksal : „Am Anfang ist Krieg nicht so schlimm“
Meine Expertin ist 81, spricht kein Englisch und den Namen Hussein falsch aus. Aber sie weiß, wovon sie redet
Für den Job des Kriegsexperten gibt es zwei Voraussetzungen. Entweder man war einmal General, oder man ist Peter Scholl-Latour. Dann darf man in Funk und Fernsehen erklären, warum im Irak passiert, was im Irak passiert. Dafür reicht eine einzige These: „Die amerikanischen Waffen sind hoch überlegen“ (diverse Exgeneräle) – oder „Die Welt geht unter“ (Scholl-Latour).
Moderierte ich eine News-Show, würde ich zur Abwechslung einmal jemand anderen einladen. Eine Frau: Die Kriegsexpertin meiner Wahl spricht kein Englisch und eventuell den Namen Hussein falsch aus. Sie ist 81 Jahre alt, aber ihre These klingt originell: „Am Anfang ist Kriegführen nicht schlimm.“ Im Gegenteil.
Am Anfang ist Kriegführen nicht schlimm. Die ersten Kriegserfahrungen machte meine Expertin schon mit 17. „Mein Vater war der Allererste aus unserer Straße, der eingezogen wurde“. Doch: Noch bevor die damals modernste Armee der Welt den Luftraum beherrschte, die gegnerische Kommunikationsinfrastruktur bombardierte und schnell mit schwerem Gerät vorrückte, also Schock und Ehrfurcht in Polen verbreitete, schickte sie den Vater meiner Kriegsexpertin zurück nach Hause. Mit einem Attest: Steinstaublunge, über 80 Prozent. Die Zechenärzte erkannten immer nur auf 68 Prozent, denn ab 70 gab es Invalidenrente.
Der Vater meiner Expertin hat im Krieg eine Rente gewonnen. Ein Glücks-, aber kein Einzelfall. Sozialer Fortschritt dient oft der Kriegstauglichkeit. Die ersten Gesetze gegen Kinderarbeit wurden in Preußen verabschiedet, weil Majestät Soldaten mit geradem Rücken wünschte. In Frankreich wurde die Schulpflicht nach 1871 eingeführt, damit Kinder der Grande Nation Karten lesen lernen wie die deutschen Sieger. Athen, die erste Demokratie der Welt, gab Wahlrecht an die Massen erst, als man diese als Ruderer für die Kriegsschiffe gegen die Perser brauchte.
Am Anfang ist Kriegführen nicht schlimm. Der Mann, der sie – viel später – in einem VW-Käfer durch die junge Bundesrepublik chauffierte, hatte seinen Führerschein bei der Wehrmacht gemacht. Ein deutscher Arbeiter lernt Autofahren. Das war ein Wunder. So wie später ein schwarzer Amerikaner, der einen Hubschrauber fliegt oder ein Schiff steuert. Der Soldat mit Führerschein besetzte Norwegen. Norwegen – noch Jahrzehnte später schloss er wonnevoll die Augen, wenn er von diesem Land sprach. Er ist nie wieder dort gewesen, denn immer, wenn er eine Reise zu den Fjorden vorschlug, antwortete ihm meine Kriegsexpertin: „Meinst du, ich möchte dort deine Kinder treffen?“
Am Anfang ist Kriegführen nicht schlimm. Die Bilder, die im Fernsehen von den ehemaligen Generälen und von Peter Scholl-Latour kommentiert werden, kann meine Expertin natürlich nicht erklären. Sie weiß nichts von der Geografie am Golf oder von modernen Waffensystemen. Als militärische Innovation galten zu ihrer Zeit Motorräder mit Beiwagen. Aber die Fantasie der Wunderrakete, die Kriege gewinnbar macht, ohne die eigenen Leute einem Risiko auszusetzen, die gab es auch damals schon.
In deutschen Sendern werden aber auch andere Fernsehbilder gezeigt: Die Einwohner von Bagdad, die mit kleinen Eimern oder bloßen Händen rasend schnell Schutt wegräumen, um zu Verschütteten zu gelangen. Dann sagt meine Kriegsexpertin: „Warum haben die keine Schippen und Spaten?“ Oder: „Die brauchen doch Hacken, spitze Hacken!“ Wenn aber dann tatsächlich Tote aus dem Schutt gezogen werden, kann meine Kriegsexpertin nicht mehr hinschauen.
In Bagdad, berichtete die ARD, gibt es für die Zivilbevölkerung praktisch keine Bunker. „Die gab es bei uns schon“, sagt meine Kriegsexpertin. Wenn die Leute nach einem Sirenenton, der Entwarnung hieß, wieder aus dem Bunker kamen, guckte jeder, ob seine Wohnung noch stand. Wessen Wohnung Schutt war, der war „ausgebombt“. Meine Kriegsexpertin war zweimal ausgebombt. Beim ersten Mal war alles weg, was sie je besessen hatte. Beim zweiten Mal explodierte die Bombe nicht, durchschlug aber Dach und Mauern wie ein Stein und hinterließ ein halb eingestürztes Haus. Meine Kriegsexpertin hatte Glück, sie war in die Hälfte eingewiesen worden, die noch stand. Ich denke, die These meiner Kriegsexpertin für die Newsshow wäre: Am Anfang ist Kriegführen gar nicht so schlimm. Man darf ihn nur nicht verlieren.
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