Altlasten: Die Logik der Furcht
Nachdem im Hannoverschen Stadtteil List Sondermüll entdeckt wurde, herrscht nur über eines Einigkeit: Er muss entsorgt werden. Wer aber dafür zahlen soll, ist umstritten. Eine rechtliche Frage, sagen die Behörden. Eine moralische, die Anwohner.
Möglicherweise ist das Interessante an dieser Geschichte in Hannover-List, dass die Schuldfrage nicht einfach zu beantworten ist. Die einzigen, die sich ganz zweifelsfrei ins Abseits gestellt haben, sind die Makler: Die haben, als klar wurde, dass in List Sondermüll lagert, ihre Visitenkarten in den Häusern verteilt: Es könnte ja sein, dass die Hausbesitzer günstig verkauften und irgendwann, wenn niemand mehr fragte, wie es mit Blei und Radioaktivität bestellt sei, würde man teuer weiterverkaufen.
Im Augenblick sieht es aber nicht so aus, als würden die Lister reihenweise ihre Häuser verkaufen. Gerade haben sie bei einer Bürgerversammlung Mitte März erfahren, dass 44 der bislang 112 überprüften Grundstücke belastet sind: 42 von ihnen chemisch, und zwar vor allem mit Arsen, Antimon und Blei und zehn radiologisch. Letzteres hat für deutlich mehr Unruhe gesorgt als die Schwermetalle. "Radioaktivität bedeutet für die Leute oft Hiroshima und Brokdorf", sagt die Biologin Petra Günther, die die Region Hannover als "Kontaktperson" für die Lister engagiert hat. Sie ist jeden Tag von zehn bis sechs Uhr für besorgte BürgerInnen erreichbar und Besorgnis gibt es in der Tat. Rund um den De-Haen-Platz, der im Zentrum des belasteten Gebiets liegt, gibt es mehrere Kitas und einen Kinderspielplatz.
Furcht ist nicht immer rational und so hat Petra Günther Passanten gesehen, die nicht über die weiß markierten Flächen auf dem De-Haen-Platz gehen, weil sie um ihre Gesundheit fürchten. Besorgte Eltern wollen ihre Kinder aus den Kitas nehmen. Günther hat alte Leute auf der Straße weinen sehen. Aber sie trifft auch diejenigen, die sagen: "Mein Opa ist hier 80 Jahre alt geworden". Und dann sind da natürlich auch noch die Pragmatischen, die finden, dass zu viel Aufhebens nur den Grundstückspreisen schade.
Für Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) ist das Altlastenmanagement der Region Hannover "nicht zu bestanden". Auch im Bereich des De-Haën-Platzes in Hannover habe die SPD-geführte Region alles richtig gemacht, befand der Liberale am Freitag in seiner Antwort auf eine Anfrage von CDU-Abgeordneten im niedersächsischen Landtag - für die Christdemokraten sicher enttäuschend. Und doch gab es Streit mit der SPD: Deren Fraktionschef Wolfgang Jüttner hatte Sander in der Debatte zuerst den Vogel gezeigt. Nach einer Entschuldigung überreichte Sander seinem Amtsvorgänger Jüttner Bilder von zwölf Vögeln, ein Wissenstest - darunter Amsel, Elster und Specht. Jüttner solle "etwas sachkundiger" werden, sagte Sander. KSC
Kosten und wer sie trägt, das ist die eine Frage, über die die Lister gerade debattieren, die zweite die, ob die Region die Belastungen früher hätte erkennen können. In gewisser Weise hängen die beiden zusammen, denn zumindest die Bürgerinitiative argumentiert, dass es darum gehe, dass die Politik Verantwortung übernehme. Aber es gibt keine rechte Einigkeit darüber, wo die beginnt, und vor allem, wo sie endet.
Dass man die Altlasten in List im Februar letzten Jahres entdeckte, war purer Zufall, und wenn man so will, ein lustiger: Die Chemiefabrik De Haen produzierte vierzig Jahre lang in der List - und verbuddelte dort Sondermüll - bis sie 1902 nach Seelze umsiedelte. Heute sitzt dort die Firma Honeywell, eine deutsche Tochter des Unternehmens "Allied Signal". Ein Mitarbeiter von Honeywell wunderte sich, warum sich ein Film zur Messung ionisierender Strahlen in seinem Büro in Seelze schwarz färbte. Der Bodenbereich wurde geprüft, eine radiologische Belastung entdeckt, woraufhin das Gewerbeaufsichtsamt zwei und zwei zusammenzählte und Messungen für den ersten Standort von "De Haen" anmahnte.
Nun argumentiert jedoch Thomas Kunze von der Bürgerinitiative im an Altlasten nicht armen Hannover, dass bereits 2003 eine historische Recherche vor Ort gemacht wurde. Damals habe ein Gutachter weitere Untersuchungen empfohlen - dem sei die Region Hannover jedoch nicht gefolgt. Und dass bei Bauarbeiten immer wieder die sonderbare Bodenbeschaffenheit aufgefallen sei, habe man ignoriert. Machen sechs Jahre hier einen Unterschied? "Ja", sagt Kunze. Denn dann hätten zumindest diejenigen, die nach 2003 Eigentum in der List erwarben, Bescheid gewusst.
Das sieht der Umweltdezernent der Region, Axel Priebs, anders, aber auf der Bürgerversammlung will man ihm nicht recht glauben. "In der historischen Recherche stand nichts Explizites, woraufhin man auf radioaktive Belastung hätte schließen können", sagt er. Außerdem sagt er, dass die Stadt den Boden auf dem Spielplatz ausgekoffert habe, obwohl das Gesetz sie nicht dazu verpflichte.
Er sagt, dass die Region freiwillig alle Kosten für die Untersuchungen trage. Zur Zeit sucht die Stadt dringlich einen Abnehmer für die ausgebaggerte Erde: Denn die angefragte Deponie winkte ab, nachdem die örtliche Politik medienwirksam Alarm geschlagen hatte: Kein radioaktiv versuchter Müll bei uns. Dabei seien die Werte unbedenklich für eine Deponie, heißt es aus Hannover. So ist es mit der Furcht.
Das ist das Eine. Das Andere, und darüber wird auf der Bürgerversammlung noch viel länger gesprochen, sind die Finanzen. Da verweist jeder auf den anderen. Zwischen Anwohnern, Region und Stadt Hannover besteht zwar Einigkeit, dass der Verursacher aufkommen soll und den sehen sie in der Firma "Allied Signal". Das sieht "Allied Signal" jedoch anders: man sei keineswegs Rechtsnachfolgerin und hat bereits Widerspruch vor dem Hannoverschen Verwaltungsgericht gegen eine Verfügung der Region eingelegt.
Damit bleiben, zumindest in den Augen der Bürgerinitiative "Gegen Altlasten in der List" noch drei Kandidaten, um den Eigentümern bei den Sanierungskosten unter die Arme zu greifen: Die Stadt, als diejenige, die die Fläche in den 20er Jahren von De Haen kaufte, um eine Siedlung daraus zu machen. Die Region Hannover, die für die Bodenschutzbehörde zuständig ist und das Land Niedersachsen. "Wir wollen nicht auf Staatskosten glücklich werden, aber wir wollen nicht alleine sitzen gelassen werden", sagt Kunze. "Das hier ist keine Villengegend".
Wer durch List geht, würde es bürgerlich nennen. Junge Familien, Lehrer, Sozialpädagogen würde man in den teils denkmalgeschützten Backsteinhäusern vermuten. Wie teuer die Sanierung werden wird, kann derzeit niemand sagen. Das hänge vom jeweiligen Bedarf ab, sagt der Behördensprecher. Thomas Kunze schätzt, dass es in seinem Haus bis zu 20.000 Euro pro Mietpartei werden könnten.
In anderen Bundesländern, zum Beispiel in Nordrhein-Westfallen, sagt Petra Günther, habe das Land einen Fonds für solche Fälle angelegt. Hausbesitzer ohne große Mittel hätten daraus Anteile für die Sanierung erhalten. Sie hält das offenkundig für eine gute Idee. Auch Umweltdezernent Priebs lässt bei der Bürgerversammlung erkennen, dass er Sympathien für einen solchen Fonds hätte, von dem allerdings vermutlich erst künftige Betroffene profitieren würden. Aber bislang zeigt Niedersachsen keinerlei Neigung, sich zu engagieren. Gleiches gilt für Region und Stadt Hannover.
Axel Priebs sagt, dass das Bodenschutzrecht sehr klar bestimmt, wer zahlen muss, wenn der eigentliche Verursacher ausfiele: Die Eigentümer. "Ich möchte nicht wissen, was für eine Steuererhöhung wir hätten, wenn die öffentliche Hand für alle Altlasten aufkäme".
Die Bürgerinitiative überzeugt das nicht. Sie verkauft Drucke am Rande der Versammlung, um für ihre Telefon- und Kopienrechnungen Geld zu sammeln.
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