■ Alternativen zur „Arbeit poor“: Soziale Kälte im Sozialstaat light
betr.: „Neue soziale Balance“ (Kommentar), taz vom 24. 1. 02
Die einst „grüne“ taz, jetzt auf Öko-F.D.P.-Kurs? Was in Deutschland fehlt, ist die Binnennachfrage. Es müssen also höhere Reallöhne her und der Staat muss stärker investieren. Der aber schenkt den Großkonzernen und der Oberschicht Milliarden Euro, mit denen diese unproduktiv an den Börsen spekulieren, während der Staat angeblich kein Geld mehr hat. Allein durch die neoliberale Eichel’sche Steuerreform ging die Körperschaftssteuer von 24 Mrd. Euro (2000) auf minus 2 Mrd. Euro zurück (Jan.–Nov. 2001). Mit den 24 Mrd. Euro hätten im Rahmen einer Infrastruktur-Offensive mehr als 500.000 gut bezahlte Arbeitsplätze geschaffen werden können, nicht nur einige schlecht bezahlte tausend (Kombilohnmodell).
Und dass die seit Jahren anhaltende Lohndrückerei (seit zehn Jahren haben ArbeitnehmerInnen Reallohnverluste) in West- und Ostdeutschland keine neuen Arbeitsplätze geschaffen hat, weil dadurch die Nachfrage zurückging, sieht jedes Kind beim Blick auf die Kaufkraft- und Arbeitslosenstatistik. Autos kaufen keine Autos. Nicht der Rückfall in den Manchesterkapitalismus, sondern nur eine effektive Politik der Umverteilung schafft dauerhaft sichere, gute Arbeitsplätze. MICHAEL KRAUS, Würzburg
Wie der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Jagoda (CDU), immer wieder erklärt, fehlt es an guten Arbeitsplätzen, nicht an der Motivation der Arbeitslosen. Als BMW etwa ankündigte, in Leipzig eine hochmoderne Fertigungsanlage aufbauen zu wollen, meldeten sich sofort zigtausende motivierte, qualifizierte Ostdeutsche. Sicher sind das gut bezahlte, sichere Arbeitsplätze, die nicht für jedermann zur Verfügung stehen.
Dennoch: Glaubt Frau Dribbusch etwa, die Zukunft der Arbeit liege in miesen Mc-Jobs, zu denen die Menschen, wie in den USA, gezwungen werden beim Preis des eigenen Überlebens? Warum probiert Frau Dribbusch nicht selbst einmal solche Billigjobs aus (Lesetipp: „Arbeit poor“ von Barbara Ehrenreich)? Vielleicht wird sie danach nicht mehr die Arbeitslosen, sondern die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen. Sicher ist es richtig, die Arbeit der bürokratischen, ineffizienten Arbeitsämter zu reformieren. Das ist aber nicht Schuld der Arbeitslosen. Dies mit den USA zu vergleichen, wo sich Millionen von „working poor“ mit Essensmarken und drei Jobs gleichzeitig durchschlagen müssen, wo es unzählige verwahrloste Ghettos mit hoher Kriminalität, null Ausbildung und null Zukunftschancen gibt, ist schlimm. Die Autorin zeigt ihre totale Inkompetenz und ihre unglaubliche soziale Kälte.
JOHANNES BORN, Würzburg
Die Idee des „Grundeinkommens“ hat heute ausgedient? Warum? Erwerbsarbeit um jeden Preis? Sozialhilfe senken, damit das „faule Pack“ endlich arbeitet? Dieser Argumentation kann ich wirklich nicht folgen und sie überrascht mich.
Die Frage ob „Recht auf (Erwerbs-)Arbeit“ oder „Recht auf Einkommen“ ist sicherlich noch nicht geklärt, aber für dieses reiche, hochproduktive Land wird es Zeit, dass alle davon profitieren und nicht nur die wenigen BezieherInnen leistungslosen Einkommens (Mieteinkommen, Zinserträge usw.). Ein garantiertes Grundeinkommen lässt sich hervorragend, über die Verteilung von Werten, die durch geronnenes Wissen produziert worden sind, rechtfertigen. Hierin ist nämlich die Arbeitsleistung vorausgegangener Generationen in hohen Anteilen verkörpert. Und auch die Nachkommen derjenigen Vorfahren, die von ihrer Lebensarbeitsleistung kein Vermögen haben ersparen können – aus welchen Gründen auch immer –, sollten grundsätzlich berechtigt sein, am gesamtgesellschaftlichen Reichtum teilzuhaben. Nicht zu vergessen sind die Reproduktionstätigkeiten, die erst den Kreislauf der Erwerbstätigkeit in Bewegung halten. Haben wir uns der ungezügelten Globalisierung zu unterwerfen, wenn Sie schreiben: „Mit Rationalität hat das nichts zu tun: Es ist ein kultureller Wandel, Folge der Globalisierung“? Ich glaube, Sie lügen sich selbst in die Tasche, wenn sie auf diesen Zug der Scheinlösung „Billigjobs“ bei „Sozialstaat light“ aufspringen. Solange Vermögende und Großkonzerne kaum Steuern an den Sozialstaat abgeben (müssen), solange wehre ich mich gegen einen Abbau unseres Sozialstaates! ENDRES C. VOLKMANN, Stuttgart
Der Diskussionsbeitrag von Barbara Dribbusch ist schlichtweg ärgerlich. Er lässt den Weitblick vermissen, den zum Beispiel der Text eines Axel Braig (am 17. 1. 02) demonstriert und den man erfreulicherweise überhaupt noch recht häufig in der taz findet.
Zuerst klärt Frau Dribbusch uns darüber auf, was heute in der Arbeitswelt vor sich geht: Mit der Arbeitslosenzahl steigt auch der Druck auf die Erwerbslosen, weil der Politik in ihrer Konzeptlosigkeit nichts anderes einfällt, als die Arbeitslosen in Billigjobs zu zwingen. Insgesamt, so scheint das Fazit, wirkt das Ganze mehr schlecht als recht, und „mit Rationalität hat das nichts zu tun“. Aber weil die Welt eben so ist, wie sie ist, sollten wir doch „auf diesem Weg“ auch ruhig „ein paar Schritte gehen“. Jawohl! Her mit dem Kombilohn, vergrößert die Einkommensschere, zwingt die faulen Arbeitslosen zur Drecksarbeit, treibt den Sozialabbau – verzeihen Sie mir bitte diesen platten Begriff – voran!
Und warum das alles? Man muss „politisch flexibel sein, sonst kommen bald jene an die Macht, die noch radikalere Einschnitte fordern“. So ist das also. Wenn die Linke den Sozialstaat nicht schnell genug ruiniert, wird sie am Ende noch von der Rechten überrumpelt. Quasi eine Appeasement-Strategie für den Arbeitsmarkt. Wirklich politisch flexibel, übrigens, wäre die Bundesregierung, wenn sie endlich den Mut hätte, den Bürgern ins Gesicht zu sagen, dass der Vollzeitjob für jeden der Geschichte angehört und die Zukunft in der Teilzeitarbeit liegt. Und in dieser Zukunft könnte vielleicht gerade die „Idee des Grundeinkommens“ eine wichtige Rolle spielen. Aber die hat ja leider ausgedient …
ANDREAS SCHIEL, Bielefeld
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