Alternative Finanzierungen: Mikrokredite für die Armen in Europa
Kleine Summen für die Armen: Der Erfinder der Mikrokredite Muhammad Yunus will menschlichere Banken. In New York und Frankreich gibt es sie schon.
FRANKFURT AM MAIN taz | Mikrokredite sind in den Industrieländern angekommen: In New York haben sich ausgerechnet in der Nähe der Wallstreet gleich vier Institute angesiedelt. Selbst in Frankreich oder Norwegen existieren heute Mikrokreditzentren, die in der Regel Kollektivprojekte finanzieren. Darüber berichtet am Montag der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus.
Die Idee von den Mikrokrediten geht auf den 1940 in Bangladesch geborenen promovierten Wirtschaftswissenschaftler Yunus und die von ihm gegründete Grameen Bank zurück. Mit Mikrokrediten sollten ursprünglich die Ärmsten der Armen in Entwicklungsländern unterstützt werden, denen keine Bank Geld leihen würde.
Mittlerweile sind auch in New York 6.000 Kleinkredite von durchschnittlich 1.500 Dollar an Frauen vergeben worden. Die Rückzahlungsquote liege bei 100 Prozent, berichtet Yunus. Jetzt sollen auch in Detroit, San Francisco und Indianapolis Mikrokreditzentralen gegründet werden.
Das Prinzip bleibt laut Yunus überall dasselbe: Erst müssten die zukünftigen Kreditnehmer bei einer Mikrokreditzentrale Geld ansparen; auch Kleinstbeträge werden angenommen. 54 Prozent der Einlagen stammten von den Kreditnehmern selbst, die restlichen Einlagen von Reichen, die beim Aufbau ihres Landes mithelfen oder einfach nur "ein gutes Werk tun" wollten, sagte Yunus.
Bis zu 20 Prozent Zinsen würden bei der Inanspruchnahme eines Mikrokredits dann anfallen. Die weltweit geäußerte Kritik an diesem hohen Zinsniveau wies Yunus zurück. Schließlich seien die Spareinlagen der Kreditnehmer zuvor mit bis zu 12 Prozent verzinst worden.
Wucherzinsen in Indien
Die Probleme etwa in Indien leugnete Yunus nicht: Dort sollen Drückerkolonnen Bedürftige bedrängt und bedroht haben, Verträge zu unterschreiben, Wucherzinsen sollen vor allem Kreditnehmerinnen ruiniert und in den Suizid getrieben haben.
Man habe dort die Philosophie der Mikrokreditbewegung nicht richtig verstanden, "Probleme lösen und keinen Profit machen." Mit dem richtigen Kleinkreditsystem sei in Bangladesch in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Armen halbiert worden.
Zur aktuellen Krise in Europa und den USA merkte Yunus an, das ganze kapitalistische System sei falsch aufgebaut, weil es nur für die ohnehin schon Reichen und die Finanzjongleure geschaffen worden sei. Die soziale Ausrichtung dagegen fehle gänzlich. Die Krise bedeutet für Yunus aber auch einen Weckruf. Gebraucht werde jetzt nicht mehr und nicht weniger als "eine neue menschliche Zivilisation".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe