: Alte DDR-Urteile werden geprüft und kassiert
■ Rehabilitierungsverfahren in Brandenburg laufen auf Hochtouren/ 16 Senate wurden eingerichtet/ Ehemalige Gewerbetreibende am häufigsten betroffen/ Widerspruchsverfahren gegen Kassation möglich
Potsdam. Rund zehn Wochen nach Einrichtung des ersten Rehabilitierungssenats läuft im Land Brandenburg die Überprüfung von Urteilen der früheren DDR-Justiz oder von deutschen Gerichten in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone auf Hochtouren. Nach Angaben des Potsdamer Justizministeriums haben inzwischen an den Bezirksgerichten Potsdam und Cottbus jeweils vier Rehabilitierungssenate die Arbeit aufgenommen, am Bezirksgericht Frankfurt/Oder einer. Ein weiterer befinde sich dort im Aufbau.
Da gegen Entscheidungen dieser Senate Rechtsmittel zulässig sind, soll in Potsdam zusätzlich eine übergeordnete Beschwerdekammer eingerichtet werden. Neben diesen Kammern prüfen inzwischen insgesamt sieben weitere Senate beantragte Kassationen früherer Urteile, vier in Frankfurt/Oder, zwei in Potsdam und eine in Cottbus.
Die Rehabilitationssenate sind auschließlich mit Richtern aus Westdeutschland besetzt, da in Brandenburg die Überprüfungen von Richtern aus der ehemaligen DDR noch nicht abgeschlossen sind. In den Kassationssenaten arbeiten den Angaben zufolge dagegen jetzt auch schon Richter aus dem früheren DDR-Justizapparat. Dies sei wegen ihrer Kenntnis des materiellen DDR- Rechts, an dem sich die Prüfungen orientieren, geboten, hieß es in Potsdam.
Landesweit wurden nach offiziellen Angaben bislang rund 5.900 Anträge auf Rehabilitierung und 550 auf Kassation von Urteilen gestellt. Fast täglich gingen weitere Anträge ein. Alle Verfahren werden in der Regel ohne mündliche Verhandlung auf dem Beschlußweg geführt. Insgesamt 50 Fälle seien inzwischen durch stattgebenden Spruch erledigt worden.
In Rehabilitationsverfahren geht es um Genugtuung und damit um Entschädigung für Menschen, die — wie es im Rehabilitierungsgesetz heißt — „wegen einer Handlung strafrechtlich verurteilt wurden, mit der sie verfassungsmäßige politische Grundrechte wahrgenommen haben“. Ferner geht es um Ansprüche jener, die durch eine rechtsstaatswidrige Einweisung in eine psychiatrische Anstalt Opfer des SED-Regimes wurden (sogenannte Waldheim- Prozesse).
Demgegenüber richten sich Kassationsverfahren gegen grobe Rechtsfehler in früheren Prozessen, wie etwa haarsträubende Beweiswürdigungen oder unverhältnismäßige Strafzumessungen. Beide Verfahrensgruppen sollen nach Plänen im Bundesjustizministerium, das gegenwärtig auch eine Entschädigungsregelung vorbereitet, schon bald nicht mehr unterschieden werden.
Ein großer Teil der Anträge auf Rehabilitierung bezieht sich auf frühere Verurteilungen wegen „Republikflucht“, „landesverräterischer Beziehungen“ oder „ungesetzlicher Verhandlungsaufnahme“ mit dem „Klassenfeind“, wie eine Sprecherin des Justizministeriums erläuterte. Eine weitere große Gruppe machten Menschen aus, die vor allem Anfang der 50er Jahre wegen angeblicher Wirtschaftsstraftaten verurteilt wurden, mit der Folge einer Beschlagnahmung ihres Eigentums.
Dabei gehe es in erster Linie um Kleingewerbetreibende, wie etwa Bäcker oder kleine Ladenbesitzer, die von der SED zur Aufgabe getrieben werden sollten. Ferner auch um Bauern, die — im Zuge der damaligen Kollektivierung der Landwirtschaft unter Druck gesetzt — die verhängte Abgabepflicht nicht erfüllten und beispielsweise Schweine versteckten.
Die Beteiligten an den jetzigen Verfahren seien sich einig, gerade die Fälle älterer Menschen möglichst schnell zu behandeln, damit sie ihre Rehabilitierung noch erleben könnten, betonte die Justizsprecherin. Eine Bewältigung der Verfahren in einem „überschaubaren Zeitraum“ sei möglich. dpa
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