: Alt und immer noch fremd
■ AWO fordert stärkere Berücksichtigung von MigrantInnen in der Alten-Betreuung
Die erste Generation der in Deutschland lebenden MigrantInnen geht in Rente. Damit wiederholen sich die Probleme der „Ausländerpolitik“ jetzt im Bereich der Altenbetreuung. Wie diese Probleme gelöst werden können, das sollte gestern die Fachveranstaltung „Alter und Migration“ der AWO im Konsul-Hackfeld-Haus klären.
„Die deutsche Ausländerpolitik ist immer davon ausgegangen, daß die ausländischen Arbeitnehmer spätestens nach ihrer Verrentung in ihre Heimatländer zurückehren würden“, kritisiert Fuat Bultan, langjähriger AWO-Mitarbeiter und mittlerweile selbst Rentner. Die Realität sehe jedoch so aus, daß nur knapp 30 Prozent der MigrantInnen zurückkehren wollen. Entfremdung vom Heimatland, Familienangehörige in Deutschland und die bessere Gesundheitsversorgung hier seien Gründe dafür. Also werden die meisten MigrantInnen in Deutschland alt, gebrechlich und hilfsbedürftig.
„Mit dem Ende der Berufstätigkeit enden meist auch die Kontakte zu Deutschen. Als Folge und wegen der andauernden Diskriminierung als Ausländer ziehen sich die MigrantInnen noch stärker in ihre Sprach- und Kulturzusammenhänge zurück“, sagt Fuat Bultan. Das deutsche Altenhilfesystem sei aber auf türkisch-sprechende, nach moslemischer Tradition lebende SeniorInnen nicht vorbereitet. „Deutsche und türkische Alte haben gleichermaßen Vorurteile gegenüber der anderen Gruppe. Bei gemeinsamen Veranstaltungen ist es immer wieder zu Problemen wegen der Toilettenbenutzung und verschiedener Eßgewohnheiten gekommen.“
In Bremen leben rund 6.000 AusländerInnen, die älter als 50 Jahre sind, 3.400 sind über 60 Jahre alt. Ihre durchschnittliche Rente beträgt 700 bis 800 Mark im Monat, oft muß deshalb zusätzlich Wohngeld oder Sozialhilfe beantragt werden. „Die Vorstellung, alle Ausländer würden in Großfamilien leben und dort im Alter versorgt, ist falsch“, sagt Bultan. „Genauso wie in deutschen Familien wollen auch MigrantInnen immer seltener alte Familienangehörige pflegen“.
„Das zentrale Problem ist das Informationsdefizit über Hilfsangebote“, berichtet Hannelore Bitter-Wirts, Leiterin des AWO-Referats „Migration“ in Bremen. „Deshalb übersetzen wir zum Beispiel unsere Faltblätter auch auf Türkisch“. Außerdem hat das Ressort für Kultur und Ausländerintegration jetzt Geld für ein einjähriges Pilotprojekt bewilligt. „In fünf Begeg-nungszentren der AWO organisieren ausländische Honorarkräfte einmal pro Woche eine Veranstaltung für ausländische SeniorInnen“. Dadurch soll ihnen ein Zugang zu den restlichen Angeboten der Begegnungszentren ermöglicht werden. „Die Ausbildung für Pflegeberufe muß die Situation alter MigrantInnen einbeziehen, deren Bedürfnisse müssen bei der Einrichtung von betreuten Wohnmöglichkeiten berücksichtigt werden“, fordert Hannelore Bitter-Wirts. Gut wäre zum Beispiel ein Gebäudeflügel für türkische SeniorInnen in einer solche Einrichtung. „Dann können sich die MigrantInnen selbst aussuchen, ob sie stärker in ihrem eigenen Kulturkreis leben oder mehr Austausch möchten“.
Elke Gundel
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