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Alltag im krisengeschüttelten GriechenlandWut und Angst vor der Zukunft

Schon jetzt müssen eine Lehrerin und eine Ingenieurin in Athen mit jedem Euro rechnen. Das wird noch schwerer, wenn Papandreou die Vertrauensfrage übersteht.

Proteste der "empörten Bürger" vor dem Parlament in Athen. Bild: dpa

ATHEN taz | Eleni Kalamara hat einen bescheidenen, aber ordentlichen Job, könnte man meinen: Die 33jährige Mathematiklehrerin aus Thessaloniki verdient deutlich weniger als 1.000 Euro netto im Monat, dafür genießt sie aber ein entspanntes Arbeitsklima an der Schule und hat zudem Anspruch auf bezahlten Urlaub und eine lange Sommerpause.

Doch seitdem die Krise ausgebrochen ist, fürchtet auch sie um ihr Gehalt. Wie alle anderen Staatsbedienstete musste Eleni bereits eine Lohnkürzung in Höhe von 20 Prozent hinnehmen, ihr Urlaubsgeld wurde fast komplett gestrichen und weitere Einschnitte sind bereits im Gespräch. Die junge Lehrerin muss ihr Leben neu ordnen.

"Schon vor der Krise dachte ich, ich verdiene zu wenig, aber damals hegte ich noch Hoffnung und glaubte, ich sei ja noch jung, es könne nur noch aufwärts gehen" sagt Eleni Kalamara. "Diese Hoffnungen werden jetzt enttäuscht. Und das schlimmste ist, wir wissen überhaupt nicht, wie lange diese Krise noch dauert, was noch auf uns zukommt".

Die junge Frau aus Thessaloniki sympathisiert mit den "empörten Bürgern", die jeden Abend nach spanischem Vorbild vor dem Athener Parlament ihrem Ärger gegen den drakonischen Sparkurs der Regierung Luft machen. Alle paar Tage macht sie auch mit bei den Demos. Besonders gut gefällt ihr dabei, dass die Protestbürger keine Parteifahnen hissen. Die Parteien seien ja zum großen Teil schuld an der heutigen Krise, glaubt Eleni. Viele Politiker hätten sich auf Kosten des Staates bereichert, aber niemand sei bisher zur Verantwortung gezogen worden, beklagt sie. Dadurch hätten immer mehr Bürger ihr Vertrauen in die politische Klasse verloren.

Sandy Polychronaki sieht das ähnlich. Die studierte Ingenieurin aus Athen begrüßt die Protestaktionen, weil sie friedlich verlaufen und vor allem weil die griechischen "Wutbürger" sich etablierten Parteien nicht zuordnen lassen. Sie habe anfangs auch selbst mitgemacht, aber im Moment versuche sie lieber in ihrem neuen, bescheidenen Job Fuß zu fassen, obwohl sie dafür eigentlich überqualifiziert sei. Aber es war halt verdammt schwer, überhaupt eine Stelle zu finden, sagt die 35jährige.

"Enorme Überkapazitäten wegen Olympia"

Ihren eigentlichen Traumjob bei einer führenden Athener Baufirma musste Sandy vor knapp zwei Jahren aufgeben und war dann längere Zeit arbeitslos. Ihre alte Firma hat Konkurs angemeldet, viele der ehemaligen Kollegen wurden auf die Straße gesetzt oder gingen ins Ausland. Laut jüngsten Umfragen erwägen heute sogar zwei Drittel der griechischen Jungakademiker, ins Ausland zu gehen und dort einen Neuanfang zu wagen. Der Bausektor wurde als erster von der Schuldenkrise betroffen", sagt die Athener Ingenieurin.

"Hierzulande gab es nämlich enorme Überkapazitäten wegen der Olympischen Sommerspiele 2004 in Griechenland. Damals haben viele Baufirmen gut verdient und sie hatten jede Woche neue Stellen frei, aber in den Folgenjahren kam dann die Ernüchterung: Vor allem ältere, erfahrene Arbeitnehmer wurden auf einen Schlag entlassen, für sie wurden junge Ingenieure angeheuert, die auch mit weniger Gehalt zufrieden sind".

Auch Sandy verließ die Firma. Heute muss sie einen beruflichen Neuanfang als Mitarbeiterin eines kleinen Architektenbüros wagen. Sie hat Angst um die Zukunft und vor allem um ihren neuen, wenn auch schlecht bezahlten Arbeitsplatz, erklärt sie: "Einige Kollegen mussten schon Lohnkürzungen von 10-20 Prozent hinnehmen, andere arbeiten zwar sieben Tage die Woche, werden aber nur für fünf oder sechs Tage bezahlt."

Sandy selbst muss sparen, vor allem beim Einkaufen oder beim Ausgehen. Bei der nächsten Sparrunde wäre sie sogar gezwungen, ihre kleine Wohnung in Athen aufzugeben und zu ihren Eltern zu ziehen. Diese Möglichkeit hat Eleni Kalamara nicht. Ihre Eltern wohnen im 500 Kilometer entfernten Thessaloniki, die junge Lehrerin zahlt für ihr kleines Appartement im Studentenviertel Strefi fast die Hälfte ihres Monatseinkommens für Miete und Nebenkosten. Ihr Handy benutzt sie immer seltener, das Auto lässt sie gleich stehen. Sie würde sich gerne nach einem Nebenjob umsehen, sagt Eleni, am liebsten irgendetwas, wo sie auch ihre Mathematikkenntnisse einsetzen könnte. Aber mehr als 300 Euro im Monat sind nicht drin für einen Gelegenheitsjob.

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7 Kommentare

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  • PA
    Peter Adam

    Früher war Griechenland ein von der Sonne verwöhntes Urlaubsland, ein Agrarland, mit eigener Währung Finanzhoheit.

    Dies ist seit der Einführung des Euro, zugunsten der Anglo-amerikanisch-zionistischen Bankmafia nicht mehr der Fall.

    Früher war das Verhältnis zu unseren europäischen Nachbarn entspannter, der Umgang miteinander wesentlich freundlicher. Deutsche Urlauber kamen in Scharen zu uns um Urlaub zu machen, da Griechenland wegen der Drachme sehr günstig war, und mein Volk von jeher die Gastfreundschaft hoch hielt. Jetzt allerdings sieht die Sache vollkommen anders aus.

    Der Tourismus liegt am Boden, immerhin eine der Haupteinnahmequellen zur Zeit der Drachme, und die Griechen wissen nicht mehr wie es weiter gehen soll.

    Deutsche und Griechen haben so manches Fest miteinander gefeiert, aber dank der Dummpute Merkel mit Ihren Stammtischparolen ist das Verhältnis zwischen unseren Völkern vergiftet. Was erdreistet sich diese Aussitzerin von Problemen uns Vorschriften machen zu wollen? Wie lange will das deutsche Volk sich gegen seine Nachbarn in Europa weiter aufstacheln lassen, und den braunen Parolen der Mainstream-Medien nachhecheln?

    Man schaue sich doch mal in Deutschland um !

    Verfallende Infrastruktur, marode Schulen, Unis und Kitas, immer höhere Belastungen für den kleinen Arbeiter und fette Gewinne für alle Finanzspekulanten. Die Eu ist zu einer antidemokratischen, ja Ich möchte sagen, fast schon zu einer faschistischen Transferunion verkommen, wo es nur noch darum geht Banken mit Steuergeldern zu retten, selbst durch die unverschämte Plünderung von schwachen Peripheriestaaten. Ganz offen gesagt: Griechenland sollte die EU und den Euro so schnell wie möglich verlassen.

    Mit der Drachme war mein Land zwar arm, aber die Leute hatten Ihr auskommen, waren es zufrieden und konnten Ihr Leben geniessen. Es schmerzt mich das jetzt, durch sämtliche Parteien in Griechenland, das Volk verraten wird. Bei Einstiegsgehältern um die 500 Euro für Berufsanfänger, steigende Abgaben ohne irgendeinen finanziellen Ausgleich und Perspektiven, verarmt das Volk noch weit mehr.

    Diejenigen die behaupten der Euro wäre gut für Europa, sollten sich an den Kopf packen...Die kleinen Leute werden ausgepresst wie Zitronen, und irgendwelche nicht demokratisch legitimierte Beamte in Brüssel ersticken die Lebensfreude und Zukunftsperspektiven in ganz Europa zugunsten der Bankenmafia.

    Als Grieche sage Ich dies nun in aller Deutlichkeit:

    Aufgrund seiner Machenschaften gehört jeder Politiker in Griechenland vor Gericht gestellt wegen Verrat am eigenen Volk, und Ich hoffe das es dazu kommt, das Griechenland dieses faschistische EU-Konstrukt, Merkel, Sarkozy, Rehn, Barroso, van Rompuy, und Juncker zum Teufel jagt.

    Wir haben jahrzehntelang friedlich miteinander in einem Europa der Vaterländer zusammengelebt, und diejenigen die Angst schüren vor einem Zerfall der EU haben garnichts verstanden, weder wozu diese EU geschaffen wurde, noch wozu sie gut sein soll, ausser der Ausplünderung der Nationalstaaten.

    Deutschland ist das wirtschaftlich stärkste Land der Eurouone, aber dies auch nur, weil die Löhne dank eines Manchesterkapitalismus auf Hungerlöhne gedrückt wurden. Da kann Ich nur sagen: Toll gemacht Ihr deutschen Volkszertreter...Wenn Uneinsichtigkeit und Unfähigkeit einen neuen Namen bekommen sollte, dann würde dieser EU und deutsche Bundesregierung lauten...

  • LN
    länger nachgedacht

    U.a. aufgrund der hohen Rate von früheren "Gastarbeitern" bezahlen 70% der Griech_innen keine Miete, auch wenn das nicht bedeutet, daß sie viel Platz zum wohnen hätten...

    Die Höhe der Mieten und Lebenshaltungskosten bezieht sich immer nur auf Athen.

    Zum Glück ziehen aber junge Familien zu Tausenden auf das Land.

    Und zum Glück gibt es genug Menschen in Griechenland, die sich der Situation in Rumänien sehr bewußt sind und nicht auf die Idee kommen, die Länder gegen einander auszuspielen.

  • HU
    Hempel unter'm Sofa

    Ist es nicht widerlich, sich von einem Land diktieren zu lassen, daß von der Oberbefehlshaberin der Bundeswehr und damit der Verantwortlichen für das widerwärtige Massaker von Kundus regiert wird?

    Welch ein Land, wo Mörder frei rum laufen dürfen und auch noch von allen Führern der freien Welt empfangen werden.

    Ist es nicht ekelhaft, auf geschätzten mindestens 162 Milliarden (manche Schätzung, die Zinsenterror mit einbezieht, kommt auf 1500 Milliarden!) nicht bezahlten Reparationen zu sitzen und arrogant das Maul aufzureissen?

    Der Kopf des antigriechischen Herrenmenschen, das sich von den Stammtischen erhebt, gehört abgeschlagen.

  • K
    Kurznachgedacht

    @ Peter Knobloch:

     

    Ich erkläre es Ihnen gerne in wenigen Sätzen:

     

    Rumänien hat den EURO noch nicht eingeführt und kann mit solchen "harten" Abschnitten anders umgehen. Griechenland dagegen hat den EURO. Den gleichen EURO wie hier in Deutschland übrigens. Griechenland kann den Euro weder Abwerten noch Aufwerten um die Missstände etwas abzufedern. Die rumänische Regierung kann in sehr kurzer Zeit die Kürzungen und Steuererhöhungen ausgleichen.

     

    Als Beispiel die Miete: In Griechenland beträgt die Miete bereits mehr als 2/3 des Einkommen. Bei einem Einkommen von 500-600€ sind 400-500€ für die Miete fällig. Die hohen Lebenserhaltungskosten(so hoch wie in Frankfurt)tun das übrige.

     

    Ein Vergleich mit Rumänien ist direkt nicht möglich.

     

    Am Ende wird aber alles wieder gut

  • B
    Balkanii

    @Peter Knobloch: in Rumänien (und Bulgarien) verschwinden auch die EU-Milliarden in den Taschen weniger. Jeder in der EU weiß dies, jeder sogen. Fortschrittsbericht meldet dies. Die Milliarden fließen weiter, die Milliarden verschwinden weiter.

  • KH
    Karin Haertel

    Die Griechen protestiere gegen das was uns noch erwartet, aber keiner sich zu sagen traut. Denn unsere Regierung gibt froehlich weiter Geld aus, das sie nicht hat oder aber aufgrund irgendwelcher Schaetzungen vielleicht zu erwarten hat und deshalb schon vorab verpulvert. Der Unterschied zwieschen den Griechen und Deutschen liegt allerding darin, dass wir zu lahmarschig sind und unseren Allerwertesten fuer einen Protest nicht aus dem Pfurzsessel kriegen. Und weil es immer noch Leute gibt, die sich erdreisten fuer andere zu sprchen und behaupten es ginge uns so gut wie nie. Darum koennen Merkel und Co uns weiterin so leicht beluegen und muessen sich und ihre Taten vor nix und niemanden rechtfertigen.

  • PK
    Peter Knobloch

    Das ist schon verdammt erschütternd – und ich will mit meinem Kommentar nicht das Leid dieser Menschen in Frage stellen oder schmälern. Aber was ich ebenso erschüttrend finde: Letztes Jahr wurden in Rumänien die Gehälter der Staatsbediensteten um 25 Prozent gekürzt, die Mehrwertsteuer um fünf Prozent, von 19 auf 25 Prozent, erhöht.

    Darüber wurde vergleichsweise überhaupt nicht berichtet.

    Dabei sind die sozioökonomischen Folgen extrem alamierend. Ein Lehrer verdiente in Buaktest noch vor der Kürzung um die 300 Euro. Ich hab drei Monate dort gelebt, für ein WG-Zimmer 140 Euro bezahlt und wäre mit den 300 selbst niemals hingekommen, obwohl ich weder ein Auto noch irgendeinen anderen Luxus hatte.

    Dafür interessiert sich hier keiner. (Lieber berichtet man über bettelnde Roma, die es in ihrer Heimat schon schwer genug haben.)

    Wozu diese rabiaten Einschnitte? Um einen 20-Milliarden Kredit von IWF, Welt-Bank und EU-Kommission zu bekommen, um dn RON (rumänische Währung) im Wechselkurs zum Euro stabil zu halten und um ein Haushaltsdefizit auszubügeln. Dabei ist die Gesamtverschuldung Rumäniens wesentlich kleiner als die der Bundesrepublik Deutschland – auch realtiv betrachtet! In Deutschland liegt die Gesamtverschuldung bei 83 Prozent eines jährlichen BIP, in Rumänien bei 31 Prozent.(Nach den Maastricht-Kriterien für die EURO-Währungsunion soll die Gesamt­verschuldung 60 Prozent des BIP eigentlich nicht überschreiten.)

    Sie können sich denken, wer diese Sparmaßnahmen vorgeschlagen hat: IWF, Weltbank und EU-Kommission.

    Vielleicht denke ich zu kurz, aber irgendwo stinkt mir das gewaltig nach Ungerechtigkeit!

    Klar ist: Es muss sich was ändern !!!