Alltag auf die Bühne gebracht: Wie sich Warten anfühlt

In dem Stück „Station Warteraum“ nehmen Flüchtlinge das Publikum mit in bundesdeutsche Amtsstuben. Wir lassen sie zu Wort kommen.

Erzählen manchmal ganz überraschend doch von sich selbst: Flüchtlinge im Theaterstück "Station Warteraum". Bild: Florian Driessen

HAMBURG taz | Neun Jugendliche, sechs Nationen, eine Gemeinsamkeit: Alle mussten sie aus ihrer Heimat flüchten, sind in einer Fremde angekommen, die Hamburg heißt. Dort müssen sie warten – zunächst und immer wieder: auf Gesprächstermine, auf Papiere. Wie sich das anfühlt und wie die Jugendlichen die Zuflucht Deutschland wahrnehmen, zeigen sie in einem Theaterstück.

Es trägt den Titel „Station Warteraum“ und entwickelt haben es die beiden Theaterpädagoginnen Anna Friederike Schröder und Anne Wieckhorst gemeinsam mit den 16- bis 30-Jährigen. Es will Zuschauer mitnehmen in den Alltag von Flüchtlingen in Hamburg. Da wird erzählt von Unterschieden und Grenzerfahrungen, von Sachbearbeitern – und den Wartezimmern, in denen sie immer wieder aufeinandertreffen.

„Fühlst du dich nicht klein? Keiner beachtet dich. Existierst du überhaupt?“, fragt einer in die Runde. In der darauf folgenden Stille bekommt der Zuschauer einen Eindruck, wie es sein muss, auf eine ungewisse Zukunft zu warten, nicht mehr als eine Nummer im System.

Die Geschichten der Flucht selbst sind ausgeklammert in „Station Warteraum“, und das ganz bewusst: Gezeigt werden soll, wie hilflos Flüchtlinge sind, wenn sie der ganz akuten Gefahr entkommen sein mögen, in Deutschland. „Sie sprechen die Sprache nicht, haben keine Rechte und müssen bei null anfangen“, sagt Anna Friederike Schröder. „Egal ob sie in ihrer Heimat studiert haben oder gar berühmt waren.“ Berühmt war zu Hause auch eine der Figuren in dem Stück: ein junger Rapper, den hier in Deutschland niemand kenne, sagt Mojtaba, einer der neun Mitspielenden. „Das ist schon hart.“

Was er auf der Bühne spielt, ist nicht seine eigene Geschichte: Die Jugendlichen hätten Figuren entwickelt, erzählt Anne Wieckhorst, „um auch mal von sich selbst wegzukommen“. Aber sie verarbeiten immer auch Erlebnisse und Hoffnungen, und manchmal – ganz unverhofft –, wird das Spiel aufgebrochen: Dann tritt ein Einzelner aus der Gruppe heraus und berichtet doch von sich selbst, ganz persönlich. Grenzen verwischen – Grenzen einer anderen Art als jene, die die Neun zu überwinden hatten.

Die Protokolle:

Fardin, 17: Ich würde mich sehr freuen, wenn endlich diese Post für mich ankommt: Ich komme nach Hause, sehe den gelben Umschlag. Wenn ich ihn öffne, sehe ich, dass mein Pass darin ist. Ich schreie laut: "Wow, ich habe jetzt einen Pass und kann im Iran und in Griechenland Urlaub machen!"Das ist mein Wunsch und ich warte seit neun Monaten, dass er sich erfüllt.

Jasser, 18: Am liebsten mag ich das Warten auf das Essen meiner Mutter, denn ich weiß, dass es lecker wird und ich bekomme, was ich erwartet habe.Wir Menschen verbringen viel Zeit mit Warten, oder? Ein großer Teil unseres Lebens besteht aus Warten. Wir Menschen warten auf etwas, um es zu bekommen. Manchmal ist unser Warten nicht erfolgreich, weil uns nicht gegeben werden kann, was wir wollen. In der Schule musste ich viel Zeit mit Warten verbringen, bis ich eine Frage stellen konnte. Das war kein gutes Gefühl und hat mich genervt.

Marjana, 30: Im Gefängnis, in Serbien, musste ich warten, um befreit zu werden. Freiheit war mein Warten oder Warten Freiheit, das weiß ich nicht. Ich kann dieses Gefühl des Wartens im Gefängnis beschreiben: Da roch Warten nach Zigaretten, die meine Freunde erbettelt haben, oder nach Brot und Suppe. Damals war Warten, schweigend in die Augen der anderen zu sehen. Am liebsten mag ich das Warten auf das Essen meiner Mutter. Warten ist für mich schrecklich. Ich kann das einfach nicht. Warten ist für mich pure Gewalt, als wenn mir jemand den Kopf ins eiskalte Wasser steckt. Wie nackt in Sibirien. Wie im Winter im Bikini. Warten ist die Hölle! Das einzig erträgliche Warten ist das Warten auf den Tod. Ich erwarte ihn mit Hoffnung - mit der Hoffnung, dass dann das richtige Leben beginnt.

Mojtaba, 19: Es ist unerträglich. Einfach ruhig bleiben und ignorieren, was da abläuft. Lange Schlangen machen mich irre. Es endet niemals, aber es ist, wie es ist.

Noman, 17: Niemand wartet gerne, selbst Leute, die viel Zeit haben, fühlen sich in der Wartezeit fremdbestimmt. Oft kann man das Warten auch vermeiden: durch Pünktlichkeit und Planung, besonders durch das Einplanen von Zeitpuffern. Mit dem Warten auf die Bahn habe ich die wenigsten Probleme. Gehört irgendwie dazu und ist besser, als in Hektik zu verfallen. Wenn ich aber sehe, dass es ein Organisationsverschulden ist, weil zum Beispiel keine zweite Kasse im Supermarkt aufgemacht wird, dann werde ich schon ungehalten. Aber meckern tu ich nicht.

Shamila, 16: Ich warte darauf, in eine andere Welt zu reisen. Dort gibt es schöne Natur, blauen Himmel und weiße Wolken. Die Sonne ist golden und scheint über die ganze Welt. Und dort sind riesige grüne Berge. Ich möchte schöne Wasserfälle und hübsche Fische sehen. Süße Vogelstimmen sind zu hören. Um mich herum gibt es wunderschöne Blumen und hübsche Schmetterlinge. Da möchte ich sein - und rufen: "Welt, du gehörst mir!

9., 10 und 11. August, jeweils 19 Uhr, Hamburg, Mut! Theater; muttheater.de

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