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Alles was Recht ist

■ Das Kaisen-Urteil liegt auf einer Linie mit dem Bundesverfassungsgericht

Es sollte keine Urteilsschelte sein, was die Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft bei der Debatte betrieben. Im gewaltenteiligen Staat steht es dem Parlament nicht gut an, die Entscheidungen eines unabhängigen Gerichts zu kritisieren. Horst Isola von der SPD konnte dennoch nicht anders, als das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts einen Fehlgriff zu nennen. Und auch der „Fachausschuß Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in der ÖTV“ fand, daß das Gericht „gerade dadurch, daß es inhaltliche Unterschiede ausblenden will, selbst parteilich wird.“

Dabei haben die Bremer Richter konsequent eine Linie eingehalten, die das Bundesverfassungsgericht am Tag vor der Bürgerschaftsdebatte noch einmal vorgegeben hatte: Die Leugnung einer allgemein bekannten Tatsache ist strafbar, wenn dadurch Menschen beleidigt werden. Eine Meinungsäußerung dagegen, so falsch und so dumm sie auch sein mag, ist vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung nach Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt. So entschied das Verfassungsgericht in Karlsruhe, daß die Verbreitung der „Auschwitz-Lüge“ strafbar ist, weil sie bewiesene Tatsachen leugnet und die Opfer des Holocaust verunglimpft. Ein Buch mit dem Inhalt, daß nicht Deutschland am 2.Weltkrieg schuld sei, wurde dagegen als geschützte Meinungsäußerung betrachtet, da es nicht zu „Rassenhaß oder Demokratiefeindlichkeit“ anstachele.

Bereits im August 1992 hatte ein Enkel des ehemaligen Reichspräsidenten Friedrich Ebert erfolglos dagegen geklagt, daß die DVU den Namen seines Großvaters zur Werbung benutzte. Das Bremer Oberlandesgericht hat nun in der Berufungsverhandlung eines Landgericht-Urteils entschieden, daß die DVU behaupten darf, daß „Wilhelm Kaisen heute DVU wählen würde“. Diese Behauptung ist inzwischen mehrfach widerlegt, doch das war nicht Gegenstand der Verhandlung. Fraglich war allein, ob diese Behauptung erlaubt sei oder ob die DVU – wie die Tochter Kaisens beantragt hatte – diese Behauptung bei Androhung eines Bußgelds von 500.000 Mark zu unterlassen habe. Das Gericht entschied, daß es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um eine Meinung handele: „Eine dem Beweis nicht zugängliche hypothetische Tatsache.“

Diese Meinung ist geschützt, solange sie keine Beleidigung darstellt. Wilhelm Kaisen ist tot, doch in Deutschland kann man auch Tote beleidigen: Der Persönlichkeitsschutz gilt eingeschränkt auch über den Tod hinaus. Das Gericht konnte in der Behauptung, „Kaisen würde DVU wählen“ aber keine Beleidigung entdecken. Clever hatten die DVU-Anwälte argumentiert, es gehe ihnen ja nicht um eine Verunglimpfung, sondern geradezu um eine Ehrung Kaisens . Daß Applaus aus der falschen Ecke, dem ein Mensch hilflos ausgesetzt ist, eine Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens an eine allgemein verehrte Person sein könne, daran hat das Gericht nicht gedacht: „Von einer Diffamierung Kaisens kann keine Rede sein.“

Das Gericht hat der DVU für die Benutzung Kaisens in ihrer Wahlwerbung einen weiten Rahmen gesteckt: In den politischen Wahlkampf sollen die Zensoren nur ganz vorsichtig eingreifen. Da ist das Zitat von Kaisen, das die DVU völlig aus dem Kontext gerissen hat, laut Urteil „keine Verfälschung“. Den Hintergrund braucht die DVU nicht zu liefern: „Mag sich der wahre Sinngehalt des Zitats auch erst vor dem vollständigen Hintergrund der Rede erschließen, so kann man deswegen nicht von einem verfälschten Zitat sprechen.“Nach Ansicht des Gerichts wäre die Pflicht zur ehrlichen Darstellung eines Zitats im Wahlkampf zuviel verlangt: „Eine solche inhaltliche Reglementierung widerspricht gerade im politischen Meinungskampf dem Grundgedanken und der Funktion der Meinungsfreiheit.“ Wenn Zeitungen dagegen Politiker absichtlich und wiederholt außerhalb des Kontextes zitieren, werden zu Recht bitterböse Leserbriefe geschrieben und die Justiz runzelt mit der Stirn.

Kurz gesagt, das Urteil ist zwar politisch umstritten, aber juristisch völlig in Ordnung. Tote Prominente dürfen in Zukunft mehr als bisher für unfreiwillige Propaganda benutzt werden. Die Unterstützung des Senats für die Tochter von Wilhelm Kaisen bei ihrer Verfassungsbeschwerde ist ein politisches Signal. An dem Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichtes wird aber das Bundesverfassungsgericht kaum rütteln. Bernhard Pötter

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