: Alles Verschwörung
Reaktionen von LeserInnen auf den Grand Slam – und eine Antwort
Die Reaktionen
Walter Greifenstein und Sophia Böhnisch: „Liebe taz, ehrlich gesagt, das klingt alles nach einem abgekarteten Spiel à la Ralph Siegel, und das sollte es doch gerade nicht sein, oder? Zugegeben, das Gewinnerlied ist das beste der Endausscheidungslieder, und es ist auch objektiv gesehen bestimmt kein schlechtes Lied. Als taz-Leser geübt in kritischer Betrachtung, seien uns aber folgende Fragen erlaubt: Ein Hauptkriterium war doch, ob der Text auf die Melodie passt? Ist bei dem Gewinnertext nicht der Fall, nur der Refrain passt. Wer hat eigentlich die Melodie komponiert? Selbst als Laien kann man uns nicht erzählen, dass binnen eines Tages ein Song produziert werden kann. (Wurde da vielleicht bereits vorproduziert?) Um Aufklärung wird gebeten!“
Claus Misfeldt aus Kiel: „Da gewinnt ein professioneller Berliner Musikproduzent den taz-Wettbewerb. Der Schwabe würde sagen: ‚ … das hat ein G’schmäckle.‘ Na ja; immerhin bietet ihr einer z. Zt. nicht ganz ausgelasteten Politikerin mit einem Platz in der Jury eine Beschäftigung. Dem kann ich ja zumindest unter dem sozialen Aspekt noch etwas abgewinnen. Aber vielleicht nehme ich der taz auch nur grundsätzlich diese ‚Boulevardisierung‘ übel.“
Albert Knapp aus Frankfurt/Main: „Zur Nominierung des Textes ‚Herz aus Eis‘: Unbegreiflich scheint mir die Entscheidung, einem professionellen Musikproduzenten den Preis zu geben. Da hätte man den Zuschlag gleich an Monopolisten à la Ralph Siegel geben können. Hätte das Lied wenigstens Tango Corrupti geheißen! Es ist überhaupt nicht zu erkennen, auf welche der beiden Melodien dieser Text passen soll. Ich fand es schon eigenartig, dass die beiden Notenfassungen nicht mit den Hörfassungen übereinstimmten. Aber dieser Text scheint auf beide nicht zu passen. Den Text halte ich für ziemlich unsägliches Zeitgeistgejammere. Die taz hat viel Belangloses und Unoriginelles an Texten für diesen Wettbewerb abgedruckt – bzw. ins Internet gestellt. Nicht zuletzt ist der Text auch formal kein gut singbarer Schlager. ‚Guildo hat euch lieb‘ war dagegen noch Lyrik.“
Silke Karcher aus Berlin: „Ein Profi-Muskiproduzent schreibt einen handwerklich akzeptablen 08/15-Herz-Schmerz-Song. Eine Profisängerin, die eben so aussieht, wie frau als Profisängerin aussieht, soll ihn singen, Polydor produziert. Die taz ist irgendwie mit dabei – die LeserInnen dürfen aber erst abstimmen, als alle originellen Songs bereits aussortiert sind. Witz komm raus, du bist umzingelt, hätten wir als Kinder zu so was gesagt.“
Christoph Kirschbaum aus Mettmann: „Die endgültige Trennung von Anspruch und Wirklichkeit? Vom gefühlten vollen Gefühl zum ‚Herz aus Eis‘? Von der ehemaligen Grünen-Vorsitzenden zum schlagerbeflissenen einfachen Jurymitglied. – Es geht ihr ebenso wie Rot-Grün. Im Moment ist eben kein ‚Land in Sicht‘! (Diesen Text fand ich am besten.) – Aber wenn Senait nur halb so gut singt, wie sie aussieht, würde sie wahrscheinlich sogar mit einem Text von mir gewinnen …
P.S. Ich habe auch beim Textwettbewerb mitgemacht, bin aber noch nicht mal in die Finalistenrunde gekommen.
Ruben Frankenstein aus Freiburg: „Ich weiß nicht, ob der Name Senait auf Amharisch eine Bedeutung hat und welche. Es ist auf jeden Fall ein hebräischer Name und hat die bezeichnende Bedeutung ‚weibliches Eichhörnchen‘. Toi, toi, toi beim Grand-Prix-Eurovision-Schlagerwettbewerb!“
Frank Pörschke aus Hattingen: „Zur Klarstellung vorausgeschickt: Ich weiß, dass es kontroverse Ansichten zu den notwendigen Kriterien eines Grand-Prix-Beitrages gibt, an denen sich auch nichts verändern lässt. Nur: Lässt sich mit der Absicht, ‚alle Generationen zu bedienen‘, die Auswahl eines Textes rechtfertigen, in dem sich zum zirka 65.000sten Mal „berühren“ auf „spüren“ und „verloren“ auf „schworen“ reimt? Mein Verdacht ist, dass diejenigen, die sich bei der alltäglichen Gedudel-Berieselung an solchen Zeilen nicht stören, bei der Grand-Prix-Ausscheidung, wo es ja was ‚ganz Besonderes‘ sein soll, auf so was achten und den Song daher ablehnen werden. Es sei denn, viele vollziehen die verquere Cool-Uncool-Logik nach. Was Wunder also, dass sich der Autor des Textes nicht als begabter Amateur, sondern als Branchenprofi entpuppt. Da kann Herr Pinelli noch so lange über lyrischen Wert und Inspiration schwadronieren – die Assoziation des Wortes ‚Fließband‘ bleibt doch hängen. Schöne Grüße aus dem Underground.“
Die Antwort
Liebe Leserinnen und Leser,
jeder öffentliche Wettbewerb lebt, wenn er vorbei ist erst recht, von Verschwörungsideen. Der Grand Prix Eurovision und all seine Vorwettbewerbe machen da keine Ausnahme, im Gegenteil: Er ist, weil seine Resultate jahrzehntelang über Jurys zustande kamen, das beste Beispiel. Schlimmer noch als Eiskunstlaufen. Auch die taz-LeserInnen Walter Greifenstein und Sophia Böhnisch glauben nur schwer an den gerechten Gang der Dinge und bitten „um Aufklärung“ bezüglich des taz-Textwettbewerbes. Hatten wir eigentlich gar nicht mehr für nötig gehalten, nachdem wir die Modalitäten ja rauf und runter veröffentlicht haben. Aber gut.
Der taz-Polydor-Textwettbewerb war offen – für Laien wie für Profis. Die Jury, die für den Poetry Slam die vierzehn Gedichte auswählte, war eine komplett andere als jene, die vor einer Woche im Berliner Fritz-Fischer-Club „Herz aus Eis“ zum Sieger erkor.
Mehr noch: Claudia Roth, Sarah Kuttner, Pia Castro, Klaus Chatten, Carsten Pape und Bascha Mika kannten die rivalisierenden Texte auch nur aus der taz, wo sie ohne Nennung des Autors am 31. Dezember präsentiert worden waren. Oliver Pinelli war übrigens nicht der einzige Profi, der am Contest teilnahm. Sein Song erhielt 20 von möglichen 36 Punkten – ein Vorsprung von sieben Zählern vor dem Zweiten – sowie den Publikumspreis.
Schließlich: Natürlich wurde schon vor dem 3. Januar mit dem Arrangement des Songs begonnen. Eingesungen wurde er aber erst, nachdem der Siegertitel der Jury ausgewählt wurde – also am Sonnabend, den 4. Januar. Wer das Stück komponiert hat? Senait selbst. Sie ist ja keine „Puppet On A String“.
Mit freundlichen Grüßen,
Stefanie Urbach, Leiterin des taz-Grand-Prix-Projektes