Alles Banane?

Die neue gesamt-deutsche Comic-Welle. Ein Überblick  ■ Von Martin Frenzel

Es boomt in Sachen deutscher Comic- Eigenproduktionen. Schon bei der internationalen Comic-Biennale von Erlangen (in Deutschland ist dieses Festival der bunten Bilder nach wie vor ein Unikum) präsentierten sich neue, vielversprechende Comic-Talente aus Deutschland West und Deutschland Ost in bisher nie gekannter Vielzahl.

Daß die Hauptstadt-Metropole Berlin dabei eine Schlüsselrolle spielt, versteht sich von selbst: so nimmt es nicht Wunder, daß der Szene-Star-Cartoonist Gerhard Seyfried (42) in Erlangen mit der höchsten deutschen Comic-Auszeichnung, dem Max-und-Moritz-Preis (als „bester deutschsprachiger Zeichner 1990“) bedacht wurde. Nicht zuletzt Seyfrieds beim Berliner Rotbuch- Verlag erschienenes Alterswerk „Flucht aus Berlin“ trug dem „Bullen und Bulletten“-Veteran der 70er diesen „Senioren-Oskar“ der deutschen Comic-Szene ein.

In diesem neuesten Wurf (dem besten seit der cartoonhaften „Invasion aus dem Alltag“) setzt sich Gerhard Seyfried treffsicher und pointenreich mit dem DM-Nationalismus und dem Bananenrausch der Ossis und der Arroganz der Westdeutschen auseinander.

Die Wirklichkeit hat Seyfrieds Vision — der das Album „Flucht aus Berlin“ im Zuge der DDR-Novemberrevolution ohnehin mehrfach umzeichnen mußte — in vielem schon wieder eingeholt.

Die unterirdischen Meeting- points ewiggestriger Neo-Nazis, die vom Vierten Reich in den Grenzen von 1941 träumen, sind in Berlin jetzt tatsächlich entdeckt worden. Und der Seyfriedsche Schlußakkord — sein Alter ego und dessen Kompagnon Zwille flüchten aus Berlin in die Wüste von Urundi Bimbanda — hat mittlerweile etwas erschreckend Prophetisches: Saddam Hussein und der Golfkrieg lassen grüßen. Seyfrieds Markenzeichen jedenfalls ist geblieben, seine mit Sponti-Szene- Sprüchen versetzten, detailverliebten „Wimmelbilder“, ohne die seine Comics nur die Hälfte wert wären.

Ganz im Zeichen der gesamtdeutschen Ereignisse steht auch das Projekt „Alles Banane“ (das, wie die Erlanger Seyfried-Schau, mit der Galerie Am Chamissoplatz realisiert werden konnte). Das Cover des pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erschienene „gesamtdeutsche Kunstwerks“ (Untertitel) spricht Bände: Holger Fickelscherer, Ostberliner Comic-Nachwuchstalent, läßt da einen Bauer mit der Sense Bananen dreschen. Der deutsch-deutsche Comic- und Cartoonband „Alles Banane“ enthält Arbeiten der West- Künstler Bernstein, Detlef Surrey, Wössner, Walter Moers („Kleines Arschloch“), Seyfried und Hansi Kiefersauer, und der DDR a. D. — Künstler Holger Fickelscherer (bis zum 9. 11. 1989 im Untegrund), Andreas Butter und Schwarwel mit seiner Figur des „Schweinevogel“ um nur die wichtigsten zu nennen.

Motor des spannenden „East meets West“-Projekts: der „Comic- Lektor“ des Berliner Rotbuch-Verlags, Holger Behm. Er brachte für „Alles Banane“ bei insgesamt vier Treffen in Berlin über achtzig Zeichnerinnen und Zeichner aus der Noch- DDR an einen runden Comic-Tisch. Allen voran die kreative private Leipziger (Kunst-)Galerie „Eigen + Art“. Holger Behm zur Intention von „Alles Banane“: „Wir haben uns bewußt nicht an der offiziösen Eulenspiegel-Crew orientiert.“ Parallel zum Erscheinen des deutsch-deutschen Comic-Kompendiums eröffnete am 20. September in der Galerie „Am Chamissoplatz“ eine gleichnamige Ausstellung mit den Originalen. Danach geht die Schau in ganz Deutschland auf Tour.

Daß die DDR-Comic-Zunft weit mehr einzubringen hat als nur die nostalgisch verklärten „Digedags“ und dröge Einheitsjournale wie 'Mosaik‘, 'Atze‘ oder 'Frösi‘ (früher: „Fröhlich sein und singen“) zeigt auch die soeben publizierte Comic- Anthologie „Leichtmetall — Comics aus der DDR“, herausgekommen ist ein zeithistorisch interessantes Spiegelbild der nonkonformistischen Demokratiebewegung in der DDR. Und dies, obwohl oder gerade weil die hier feilgebotene Unterground- und Anarcho-Gilde von über 40 DDR- Künstlern oft geradezu amateurhaft daherkommt. Die Anarcho-Arbeiten von Leuten wie Olaf Thiede, Michael Rudolph, Fronticek Bam, Ulrich Schreiber oder Joachim Damm (sie alle stammen aus der Ostberliner und Potsdamer Szene) sind kaum der Rede wert — vieles wirkt noch zu unausgegoren. Ganz anders der Ostberliner Holger Fickelscherer mit der fast genial surrealistisch-klamaukhaften Serie „Yeti und Nasenbär“. Fickelscherer bemüht einen souveränen Licht- und Schattenstil, schlicht-kantige Personenzeichnungen und philosophischen Witz à la Hendrik Dorgarthen und George Herrimans „Krazy Kat“.

„Comix vom Schweinsten“ bietet auch der Leipziger Schwarwel, dessen Cartoon-Stil an Arbeiten von Gerd Bauer erinnern. Von Fickelscherer und Schwarwel (neben Rickie Zimek & Co. ebenfalls in Erlangen zugegen) wird man sicherlich in Zukunft noch einiges hören. Die Comic-Anthologie „Leichtmeall“ ist beim Berliner Basis-Druck-Verlag des Neuen Forums erschienen.

Auf Talentsuche geht jetzt auch der Stuttgarter Comic-Gigant Ehapa („Asterix“, „Micky Maus“, „Lucky Luke“): für die in Erlangen erst jüngst prämierte neue Reihe der Ehapa Comic Collectin sucht das renommierte Verlagshaus „marktreife“ Talente aus der Ex-DDR. Die bittere Wahrheit ist: nicht jeder semi- talentierte Feierabendkritzler bringt ein 44-Seiten-Album zustande oder hat gar den langen Atem für eine ganze Albenreihe. Vorerst begnügen sich die Stuttgarter notgedrungen mit bewährten West-Kräften: Im Frühjahr nächsten Jahres soll das erste Funny-Album der Wiesbadener Michael und Thomas Musal erscheinen. Eine scharfsinnige Satire um einen Pariser Multikonzern orwellscher Machart, eine Zeitmaschine und die libertäre Pariser Kommune von 1870/71.

Mit Texten von Klaus Strzyz startet gleichfalls im Frühjahr 1991 die Albenreihe einer sattsam bekannten Sportskanone: der die Sportseiten der Republik und RTL-Äther füllende Funny „Bill Body“ aus der Feder des in Hamburg lebenden Schweizers René Lehner.

Das erste Hardcover-„Bill Body“-Album ließ der Ehapa Verlag im übrigen beim Grafischen Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden drucken.

Ansonsten setzt man in Stuttgart auf die Macht der „Micky Maus“: Für den Noch-DDR-Markt wird das Wochenblatt pro Heft gleich 120.000 Mal gedruckt (BRD-Auflage: 500.000).

Bis die beiden Deutschländer auch comic-kulturell zusammengewachsen sind dürften freilich noch Jahre vergehen.

Mit „Future Press“, einem Ableger des Ostberliner Verlags Junge Welt, ließ Ehapa im Februar/März einen großen Marktforschungstext durchführen. Ergebnis der DDR- Comicmarkt-Analyse: nicht die hochpreisigen Edel-Alben in bibliophiler Edition (mit Auflagen von höchstens 7.000 Stück pro Album) sind derzeit in Deutschland Ost gefragt, sondern eher die Produkte aus dem Pressegrosso (Hefte und Magazine). Gerade die westdeutschen Verlage machen jetzt — nachdem bis zur Währungsunion am 1. Juli fieberhaft am Aufbau schlagkräftiger Vertriebspower gearbeitet wurde — das große Geschäft: neben Ehapa Verlage wie Carlsen (mit dem Frankfurter Eichborn Verlag), Condor („Clever & Smart“, „Tom & Jerry“) und Bastei. Das läßt für die qualitative Innovationswelle, die zu Beginn der 80er ihren Anfang nahm, nichts Gutes erwarten.

Während man in der BRD endlich soweit war, an das französische und italienische Spitzenniveau der modernen Autorencomics im Buchhandel anzuknüpfen, feiert nun in der Ex-DDR der Schrott der 50er und 60er (noch einmal) fröhliche Urständ.

Dennoch ging der Hamburger Marktführer auf dem Gebiet anspruchsvoller Autorencomics, der Carlsen Verlag, das Wagnis einer nennenswerten deutschen Eigenproduktion ein: zum Erlanger Comic- Salon erschienen auf einen Schlag elf Comics „made in Germany“. Nicht alles, was da ins Programm kam, weiß zu überzeugen: gewiß echte Comic-Juwele sind die beiden Stars Ralf König und Matthias Schultheiß. Ralf König hat sich (seit seinem „Schwulcomix“) längst vom Geheimtip zum Bestseller entwickelt. Seine beiden Alben bei Carlsen — „Prall aus dem Leben“ und „Zitronenröllchen“ (in denen es selbstredend wieder einmal um grelle Tunten mit Knollennasen und ausgeflippte Leder-Homos geht) — lassen freilich den Biß seines (bisher) zweibändigen „Kondom des Grauens“-Zyklus' vermissen. Sie entsprechen eher dem bürgerlich-salonfähigem Standard der Rowohlt-Bände („Der bewegte Mann“, „Lysistrata“, „Beach Boys“ etc.).

Längst ein Star in Frankreich und anderen europäischen Ländern, macht Hamburger Hard-Core-Erwachsenencomic-Künstler Matthias Schultheiß zunehmend auch hierzulande von sich reden. Seine düster- derbe St. Pauli-Hommage „Night Taxi“ um eine ansehnliche Taxifahrerin im Reeperbahnmilieu ist Geschmackssache, ohne Zweifel jedoch brillant inszeniert.

Bereits fünf Alben gibt es von Birger Thorin Graves und Rafael Solá Ferrers Dschungelabenteuer-Serie „Die Spuren der Götter“: Hier von der Comicversion des „Indiana Jones“-Streifens zu sprechen, ist wohl etwas zu hoch gegriffen, dazu sind besonders die Zeichnungen einfach noch zu hölzern-stereotyp.

Grellen New-Wave-Humor läßt der Hamburger Ulf Harten in seinem zweibändigen „Das Seegurkenprinzip“ walten: eine bonbonfarbene, zuweilen etwas unbeholfen wirkende Parodie über den Glückskonzern „Nillosan“.

Michael Götze hat den ersten deutschen Computercomic aus der Taufe gehoben: „Das Robot-Imperium“ (bisher zwei Alben) erzählt in kongenialen Computer-Bildern von der Herrschaft der Maschinen über den Menschen. Nur eine kleine Gruppe leistet noch Widerstand.

Zu den Glücksfällen des deutschen Comic-Reigens bei Carlsen gehört der Hamburger Christian Gorny (der bereits internationale Arbeiten veröffentlichte). In einem Beklemmung und dichte Atmosphäre erzeugenden Schwarzweiß-Silhouetten-Stil zeichnet Gorny die Geschichte des berüchtigten „Schlächters von Hannover“ nach Texten des Bremer Schriftstellers Peer Meter. Der Fall des Massenmörders Haarmann (zugleich der Titel des ersten Albums der Reihe) zählt zu den spektakulärsten der Weimarer Republik.

Comic-Kunst vom Feinsten haben Chris Scheuer und Wolfgang Mendl (beides Österreicher) mit dem Album „Sir Ballantime“ bewiesen. Vor allem Scheuers maniriert-artifizieller Zeichenstil hat bereits in Frankreich und anderswo für Aufsehen gesorgt. Ein Exotik-Drama in schönen Farben und mit dem schillernden Ambiente der Jules Verne-Romane.

Eher ein Reinfall ist hingegen Dieter Kalenbachs „Hitler“-Comic in zwei Bänden. Anders als etwa Art Spiegelmann (dessen Katz-und- Maus-Holocaust-Parabel „Maus“ in Erlangen mit einem Spezialpreis prämiert wurde) gerät die Story hier aus der „Männer-machen-Geschichte“- Perspektive ungewollt zur Apologie. Daran ändern auch die historischen Texte des Historikers Friedemann Bedürftig nichts, und auch nicht ein relativierendes Vorwort von Erich Kuby.

Voll im Trend liegen momentan die Regionalcomics. Motto: Jeder Stadt oder Gegend ihr eigener Comic. Nach dem soeben erschienenen dritten Album der Rheingau-Comic- Reihe „Karl“ von Michael Apitz und Patrick Kunkel (geschickt gemachter Werbecomic für die ortsansässige Weinwirtschaft), kommt jetzt der Erfinder der beweglichen Drucktypen zu neuen Ehren: „Gutenberg live: Phantomschmerzen“ erzählt recht frei in flotten Bildern und amüsanten Texten ein hochaktuell wirkendes Beziehungsdrama zwischen Johannes Gutenberg und der Geliebten Änne. (Daher auch der an „Vom Winde verwehrt“ angelehnte Titel). Ob freilich die beigelegten „Gimmicks“ des Mainzer Autorenduos Klaus Wilinski und Albert Hoehner die kulturelle Anerkennung des Mediums voranbringen, darf bezweifelt werden: nicht nur ein mittelalterliches Rezept zum Nachkochen (vom Wiesbadener Starkoch Hans-Peter Wodarz) liegt bei, sondern auch eine eigens eingespielte Schallfolie „Phantomschmerzen“ von Ex- „Crackers“-Sänger Lothar Pohl und Band. Obendrein ließ das PR-gewiefte Autorenteam zehn Rubbel- Duftmarken ins Album einheften (Ännes liebliches Parfum, Gutenbergs Schweißfüße darunter). Frank Elstner läßt grüßen. Da die Geschichte selbst gelungen ist, gerät diese Art von Vermarktung nachgerade zur Peinlichkeit par excellence.

Gleichwohl wollen die Gutenberg-Macher auf Tour gehen: nach der Buchmesse sind Werbeaktionen in ganz Deutschland und auf internationalen Comic-Festivals wie Angoulême und Grenoble angesagt.