: Allergien durch CN- und CS-Gas?
Göttinger Mediziner weisen auf Vergiftungen durch „Tränengas“ hin / Bei einer Reihenuntersuchung wurden ausgeprägte allergische Reaktionen festgestellt ■ Von Reimar Paul
Göttingen (taz) - Die gesundheitlichen Risiken der polizeilichen „Distanzwaffen“ omega-Chloracetophenon (CN) und orth-Chlorbenzyliden-maltodinitril (CS) sind schwerer als bisher genommen. Eine Untersuchung der Göttinger Universitäts-Hautklinik an 56 DemonstrantInnen, die in Wackersdorf, im Rhein-Main-Gebiet und in Göttingen mit „Tränengas“ in Berührung gekommen waren, erbrachte eine Vielzahl von ausgeprägten Vergiftungserscheinungen an Haut, Augen und Atemwegen. 20Prozent der Befragten zeigten in einem Hauttest mehr oder weniger ausgeprägte allergische Reaktionen.
Bei Demonstrationen verwendete die Polizei CN und CS entweder in Wurfkörpern oder Gewehrgranaten, aus denen das Gas nach dem Aufprall durch Verschwelung freigesetzt wird, oder - in gelöster und verdünnter Form - in Wasserwerfern und Reizstoffsprühgeräten, der sogenannten „Chemischen Keule“. Über Kontaktallergien gegenüber diesen Substanzen gab es bisher nur Einzelberichte. Der schwerwiegendste bekanntgewordene Fall betraf einen 19jährigen Soldaten der Nationalen Volksarmee der DDR, der bei einer Gasmaskenprüfung mit CN in einem geschlossenen Raum einen lebensgefährlichen allergischen Schock erlitt. Tierversuche haben gezeigt, daß beide Stoffe potente Allergieauslöser sind.
Für ihre Studie hatten die Mediziner Michael in der Wiesche und Thomas Fuchs 42 Männer und 14 Frauen zwischen 19 und 56 Jahren ausgewählt, die mindestens einmal einem CN- oder CS -haltigen Strahl aus Wasserwerfern beziehungsweise „Chemischen Keulen“ ausgesetzt waren. In Fragebögen benannten alle Testpersonen Tränenfluß, Bindehautrötung, Sehbehinderung und Lidkrämpfe als unmittelbare Folgen der Gaseinsätze. In einem Fall soll eine Bindehautentzündung ärztlich behandelt worden sein, bei einem anderen Demonstranten ein dreiviertel Jahr angehalten haben. 59Prozent der Betroffenen - 24 Männer und neun Frauen hatten überdies Hautsymptome wie Brennen, Juckreiz und Schwellung der betroffenen Partien bei sich registriert. Zusätzlich wurden Übelkeit, Magenstechen, Herzklopfen, Panikgefühle sowie Zahnfleisch- und Nasenbluten aufgezählt.
Mit speziellen Pflastern, die mit CN- und CS-Lösungen in einer Konzentration von 0,1 Prozent - die Flüssigkeiten in der „Chemischen Keule“ enthalten durchschnittlich 1Prozent getränkt waren, nahmen die Wissenschaftler zusätzlich Hauttests vor. Während 45 Fälle negativ blieben, zeigten sich bei elf Personen teilweise signifikante allergische Hautreaktionen.
Zu einer „statistisch gesicherten Aussage“ sehen sich Fuchs und in der Wiesche allerdings auch nach ihren Untersuchungen nicht in der Lage. Es sei jedoch davon auszugehen, daß bei Demonstrationsteilnehmern nach CN- und CS-Einsätzen „häufige Kontaktallergien auftreten können“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen