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Archiv-Artikel

Allein unter allen

Beim Auftritt von Herbert Grönemeyer im Olympiastadion klingen die 64.000 begeisterten Zuschauer entschieden besser als der Sänger selbst

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Ganz am Schluss, nach drei Stunden, wurde es noch mal besonders schlimm. Im dritten Zugabeblock stimmte Herbert Grönemeyer die schlechteste Fußballhymne aller Zeiten an: „Ohe-Ohe, Oho-Ohe, Zeit, dass sich was dreht!“ Da umfassen sich die biederen Berliner Pärchen und wiegen sich in pseudoafrikanischen Tanzschritten, und natürlich gerade hier im Olympiastadion kommt die Erinnerung an den letzten WM-Sommer hoch, genau deshalb ist Herbert Grönemeyer ja zurzeit in den Fußballstadien des Landes unterwegs.

Man kann Grönemeyer ja nichts vorwerfen, er kann ja nichts dafür, dass man sich immer wieder in ihm täuscht, ihn doch irgendwie sympathisch findet. Aber er ist nun einmal kein halbwegs cooler Typ, wie man beim letzten Album „Mensch“ 2003 mal kurz dachte. „Mensch“, der erfolgreichste deutsche Song aller Zeiten, ist recht untypisch für ihn, Grönemeyer ist ein Deutschrocker mit einer Muckerband. Er bewegt sich furchtbar, er singt schrecklich, er hat kitschige Texte.

Vor vier Jahren in der Max-Schmeling-Halle hatte man ihn zurückgenommener erlebt, da saß er viel am Klavier, spielte die ruhigen Stücke, war ganz Herbert der Trauernde. Nun ist er wieder auf der Höhe, kaspert aufgedreht wie ein Irrer über die Bühne. Und so schön, wie das für ihn persönlich ist – „Trauernd gefielst du mir besser“, würde man ihm am liebsten sagen.

Aber es war eigentlich schon letzte Woche klar, als die ARD live das Konzert gegen G 8 übertrug, ein völlig entfesselter Grönemeyer händchenhaltend mit Bono am Keyboard stand und „Frau Merkel, Frau Merkel“ in die Rostocker Abendsonne brüllte. Es hilft alles nichts, die vernünftigen Interviews, die er gibt und die einen sogar glauben machen, er sei bei G 8 wirklich aus Überzeugung und Engagement dabei und nicht, um die aktuelle CD zu promoten. Mit Herberts Image ist es so, wie es in dem deutschen Sprichwort heißt: „Er reißt mit dem Arsch wieder ein, was er mit den Händen mühsam aufgebaut hat.“ Aber das Publikum im Olympiastadion liebt ihn trotzdem, wie er so unprätentiös auf die Bühne kommt und sich ans Klavier setzt. „Ein Stück vom Himmel“, die aktuelle Single, ist ihnen zwar nicht ganz so geläufig, aber Grönemeyer bringt wenig Lieder des aktuellen Albums „12“, dafür viele alte Klopper: „Bochum“, „Alkohol“, „Mensch“, „Männer“ „Flugzeuge im Bauch“. Nach jedem Lied schreit der heisere Herbert minutenlang: „Das ist unglaublich, unglaublich, unglaublich!“ Nun mag auch ein erfolgsgewohnter Herbert Grönemeyer nicht jeden Tag vor 64.000 Fans im Olympiastadion stehen, aber kann man von einem wortgewandten Menschen nicht erwarten, dass er seine Ergriffenheit differenzierter ausdrückt? Anscheinend nicht: „Unfassbar! Unfassbar! Unfassbar! Danke!“

Seine Stimme hat er wohl auf diese Art schon bei den vorausgegangenen Konzerten zuschanden gebrüllt, über lange Strecken hört man von ihm nur ein durchgehendes „Trööööö-ööuö“, was aber nun einmal sein gesangliches Markenzeichen ist. Zum Glück singen die Fans fast alles mit, und die Massenchöre hören sich um einiges besser an als der Sänger selbst. Auch bei den ruhigen, unbekannteren Stücken ist die Masse textsicher. Interessant, wie sich die Stimmen von Zehntausenden zu einer weichen, fast kindlich-unschuldigen Klangfarbe zusammentun.

Wirklich schlimm wird es, wenn Grönemeyer in seinem Gesang zu frei wird, wenn er versucht, selbstironisch, spielerisch zu sein, plötzlich eine Oktave höher singt und seine Stücke als Opernparodie aufführt oder wenn er bei „Mensch“ plötzlich einen kleinen Stoffeisbär ansingt und wie von Sinnen und im Falsett „Knut, Knuti, Knut!“ ins Mikrofon japst. Am allerschlimmsten ist seine neue Gepflogenheit, R&B-artige Gesangsarabesken ans Ende seiner Lieder zu setzen und sie so auf jammervollen Umwegen ausklingen zu lassen.

Den Menschen scheint das alles mordsmäßig zu gefallen. Die sind glücklich, erleben einen schönen Sommerabend, und selbst auf der „Ehrentribüne“ stehen Pressevertreter von den mehrfach gepolsterten Designerstühlen auf und bewegen sich träumerisch hüftsteif zu Herberts Weisen. Man fühlt sich manchmal sehr allein auf so einem Konzert.