■ Alle sind sich einig: Alles muß effizienter werden: Der Abbau des Sozialstaats beginnt im Kopf
Immer dann, wenn für ein Vorhaben ein besonders neutraler Begriff gesucht wird, stimmt was nicht. Die Christdemokraten und die Arbeitgeber sprechen vom „Umbau“ des Sozialstaates. Und meinen damit: Soziale Leistungen für die Schwächeren sollen reduziert, die Stärkeren durch die Anforderungen der Solidargemeinschaft nicht weiter belastet werden. Dieses Vorhaben ist natürlich nicht neutral, ebendrum die Suche nach einem besonders harmlosen, rein technokratischen Begriff. Der verfehlt seine Wirkung nicht: Eine technokratische Herangehensweise beherrscht inzwischen viele, auch linke Diskussionen um die zukünftige Gestaltung des Sozialen. Schon bevor tiefgreifende materielle Kürzungen für die Schwächeren vorgenommen werden, hat solcherart der Sozialabbau im Kopf begonnen.
Zwei Beispiele: Es wird diskutiert über die „Verschlankung“ des öffentlichen Dienstes, der effektiver und billiger arbeiten müsse. Leicht übersieht man, daß solcherart auch „Schonarbeitsplätze“ verlorengehen, auf denen sich viele Schwächere ihre Erwerbsfähigkeit erhalten. Hierarchiearme, produktive Gruppenarbeit gilt in Betrieben als zukunftsweisende Arbeitsform. Studien belegen aber, daß die Leistungskontrollen dadurch verschärft werden können. Leistungsgeminderte Arbeitnehmer finden in diesen kleinen Gruppen keine Nische mehr.
Die Diskussion um pragmatische Lösungen zur Steigerung der wirtschaftlichen Kraft lassen nicht nur oft den Preis vergessen, der für diese Veränderungen bezahlt wird. Sie dokumentieren auch einen Verlust: jetzt, wo es um die möglichst kostengünstige Organisation von Staat und Wirtschaft geht, wird „Entfremdung“ ,„Humanisierung“ der Arbeit nicht mehr als Eigenwert thematisiert, es sei denn, es geht um Leistungssteigerung durch „Motivation“. Es scheint, als beherrsche der Effektivitätsgedanke auch die Art der Sozialdebatte selbst: jeder will der erste sein im Rennen um praktikable Lösungen.
Die Arbeitgeber haben dabei die Gunst der Stunde erkannt. Mit ihrem einpeitschenden Gestus zum sozialen Kahlschlag gebärden sie sich wie eine Art APO der 90er von rechts. Arbeitgeberpräsident Klaus Murmann hat kapiert, daß es erst mal darum geht, im Land ein bißchen Stimmung zu machen. Wenn dann die Sozialhilfe nicht gekürzt, sondern nur eingefroren, dort der Selbstbehalt von Patienten nur ein bißchen erhöht wird, werden alle erleichtert sein: naja, so schlimm, wie angekündigt, ist es dann doch nicht gekommen.
Die materiellen Folgen des Sozialabbaus sind somit nur ein Aspekt, der übrigens politisch durch die starke SPD im Bundesrat noch einigermaßen kontrolliert werden kann. Fast noch beunruhigender aber sind die Wandlungen im gesellschaftlichen Diskurs, die Tatsache, wie schnell unterschiedliche politische Kräfte auf einen pragmatischen Konsens einschwenken, wenn es um das Verhältnis von Kosten und Nutzen geht. Wer von „Solidarität“ spricht, klingt inzwischen fast schon konservativ. Das könnte sich rächen. Denn wenn sich erst mal das Bewußtsein durchsetzt, daß auf Sozialleistungen doch kein Verlaß ist, dann wird auch die Bereitschaft zur Solidarität und zur Leistung von Sozialabgaben schwinden. Das wäre dann der wirkliche Sozialabbau: ein gesellschaftlicher Wandel, der nicht mehr rückgängig zu machen ist. Barbara Dribbusch
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