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Alke Wierth Die FußgängerinVon dem guten Gefühl, endlich richtig reich zu sein

Foto: privat

Um Ihnen diese Geschichte erzählen zu können, muss ich zunächst ein Geständnis machen: Bis vor wenigen Wochen besaß ich ein Auto. Nichts Besonderes, ein Kleinwagen, noch von meinen Eltern übernommen, praktisch für innerstädtische Transporte oder kleine Ausflüge, fast 20 Jahre alt und dennoch nur knapp 95.000 Kilometer auf dem Tacho – Sie merken: Ich bin nicht viel damit gefahren.

Ende letzten Jahres hatte ich den Wagen an einen Freund verliehen, der damit ein paar Umzugskisten transportierte und ihn als Dankeschön dafür volltankte. Als mir im März auffiel, dass der Tank noch fast zur Hälfte voll war, beschloss ich, das Auto zu verkaufen; ganz offensichtlich brauchte ich es nicht. Geschätzte Bekannte bekundeten Interesse, fuhren Probe, waren zufrieden und übergaben mir einen ­dicken Batzen Geld.

Und hier fängt die Geschichte an: Denn das führte zu einer für mich völlig neuen Lebenserfahrung. Es war eine kleine vier­­stellige Summe, teils ganz neue Scheine und mehr Bargeld, als ich je zuvor in der Hand hatte. Oder gar im Haus! Dazu an einem Sonntag!

Als die Käufer weg waren, merkte ich, wie Nervosität in mir hochstieg: Konnte ich so viel Geld überhaupt sicher in der Wohnung aufbewahren, auch noch über Nacht? Das erschien mir äußerst schlafraubend. Konnte ich es wagen, mit dem vielen Geld in der Tasche zum nächstgelegenen Sparkassenautomaten – Hermannplatz! – zu gehen, um es auf mein Konto einzuzahlen? Was, wenn ich überfallen und ausgeraubt würde? Mir war hier in der Gegend zwar nie etwas passiert, aber man würde mir ja sicher irgendwie anmerken können, dass ich plötzlich viel Geld hatte. Dachte ich.

Und so, nur ganz anders, kam es dann auch.

Ich beschloss, das Geld erst am nächsten Tag morgens vor der Arbeit zur Bank zu bringen, wenn viele Menschen auf der Straße und in Eile wären und gar keine Zeit hätten, mir meinen Reichtum anzusehen. Als ich dann am Montagmorgen mit dem Umschlag voller Scheine in der Tasche auf die Straße trat, bemerkte tatsächlich offenbar niemand, was sich an mir verändert hatte – ich selbst dagegen bemerkte es ganz kolossal.

Was für ein erhabenes, erhebendes, erhobenes Lebensgefühl, mit so viel Geld in der ­Tasche – und gleich auf der Bank! – durch die Straßen zu gehen! Was heißt gehen: Fast schwebte ich, so sorgenfrei erleichtert fühlte ich mich plötzlich. Ich war reich!

Mit wohlwollend-rücksichtsvoller Herablassung wich ich elegant den armen Schluckern aus, die mir auf den engen Gehwegen der Karl-Marx-Straße begegneten – meine Nachbar:innen, in denen ich plötzlich bedauernswerte Geschöpfe erkannte, die in ihrer Armut ihre ganze Aufmerksamkeit darauf richten mussten, die billigsten der Billigangebote auf diesem Ku’damm Neuköllns zu finden – wie ich noch vorgestern auch.

Doch das war nun vorbei, ich war eine Andere geworden – mir standen jetzt ganz andere Möglichkeiten offen. Ich könnte reisen! Mir einen neuen Staubsauger, gar einen neuen Laptop kaufen! Oder endlich meine Wohnung renovieren! Ich konnte mir beinahe alles leisten – die Welt gehörte mir. Weil mir dieses Geld gehörte – ich hatte es ja verdient!

Konnte ich so viel Geld sicher in der Wohnung aufbewahren?

Nun gut, eigentlich hatte ich das Auto geerbt, das ich jetzt verkauft hatte. Aber damit war es ja zu meinem Besitz geworden; es stand mir also zu, es gehörte mir und ebenso nun das viele Geld! Es war meins. Ich war reich. Und ich verspürte nicht einmal ein schlechtes Gewissen, während sich diese garstigen Gedanken schamlos in meinem Kopf bewegen konnten.

Es war eine überwältigende Erfahrung, wie Geld das Selbstgefühl, den Blick auf die Welt verändern kann. Ich glaube, ich weiß jetzt, wie reiche Leute denken.

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