■ Alice Schwarzer wird fünfzig: Ein Doppelleben
Dankbar nehmen wir das zur Kenntnis: über die gefährlichen Jahre ist sie nun glücklich hinweg. Alle öffentlichen Symbol-Personen sind im fünften Lebensjahrzehnt besonders gefährdet, als würden sie von einer geheimnisvollen, eigens für sie bestimmten Krankheit belauert. Es befällt sie eine eigenartige Schwäche, sie stürzen ab oder taumeln in das große Nirwana des Vergessenwerdens. Das allseits bekannte einzige Symbol des BRD-Feminismus aber – große Brille, wilde Haare, märchenhafter Name – wird mit dem heutigen Tage satte fünfzig Jahre alt. Frau Schwarzer ist bei guter Gesundheit, klarem Verstand und lebenslustig dazu. Gute Aussichten also, daß ich meinen Frauen-Wunschtraum doch noch mal erfüllt kriege: Rosa/Sophie/ Ulrike 80jährig, weise, ironisch, lebenssatt von Erfahrungen, lachend in den Markthallen von Paris. Sie, Alice, könnte es schaffen.
Dabei fing alles ganz anders an. Im schmalen schwarzen Minikleid, lange glatte Haare, hohe Stiefel, kreuzte sie 1968 frisch aus französischem Existentialismus und Pariser Mai kommend in den westdeutschen Redaktionsstuben auf. „These boots are made for walking, and that's just what they'll do and one of these days these boots are gonna walk all over you“. Die Herren von Pardon, wo sie 1968 als Reporterin tätig war, dankten es ihr mit einem Cartoon zum Auf- Nimmerwiedersehen: Alice als römische Wölfin mit vielen Babys an den Zitzen. Der oberste und frechste haut ihr auf die Schulter: Schade, daß du so frigide bist! Sie hat es sich gemerkt, die linken Männer kriegten kein Pardon mehr. Der Pascha des Monats war schon im Kopf geboren, und Rudolf Augstein hatte die Ehre, der erste Geschmückte zu sein.
Wer so losstiefelt, zieht die Pfeile geradezu auf sich. Es folgte Kampagne um Kampage: 1971 bekannten 374 Frauen im Stern auf Initiative von Alice Schwarzer (die das bei den französischen Feministinnen gelernt hatte): „Wir haben abgetrieben.“ Wenig später zeigte sie mit anderen Frauen den Stern wegen „sexistischer Titelbilder“ an. Sie machte die Einstellung zum Paragraphen 218 zur Voraussetzung für Wahl oder Wahlboykott, sie forderte als erste Häuser für geschlagene Frauen, sie machte sich unbeliebt und auffällig mit der PorNo-Kampagne. Das Bild, das die Öffentlichkeit ihr zurückspie
gelte, war machtvoll und eindeutig: die „Hexe mit dem stechenden Blick“ (Bild), die „Frustrierte Tucke“ (Süddeutsche), die „Nachteule mit dem Sex einer Straßenlaterne“ (Münchner Abendzeitung), die „breitmäulige Prophetin, Mösen-Ayatollah“ (taz). Nur gelegentlich lugte dahinter noch der kleine Unterschied zum Leibhaftigen hervor, wenn etwa Christian Schultz-Gerstein eine „vertrauenseinflößende Melancholie unübersehbar in ihrem Gesicht geschrieben“ fand. Die „Bestimmtheit“, mit der Alice Schwarzer Eindruck zu machen beliebt, deutete er als
einen selbsterteilten Befehl, „sich in der Öffentlichkeit keine Blöße zu geben, in der Öffentlichkeit, vor der sie jedesmal wieder eine Anfangsscheu überwinden muß“. So erkennt nur der Melancholiker die Melancholikerin, nur der Soldat die kleine Soldatin einer Bewegung, die auch so unerbittlich sein kann wie die Geburt: einmal hineingeworfen, findest du nie wieder zurück.
Das andere, das Komikerinnenleben der Radikalfeministin, muß all die Jahre mitgelaufen sein. Irgendwann hatte es sein Coming- out: Unvergeßlich ist Alice Schwarzer, wie sie, ein Sektglas in der Hand, mit Peter Alexander auf dem Bambi-Presseball in Leipzig schäkert. Und als sie dann noch in flutenden Kleidern, gelegentlich geblümt oder gepunktet, in Blacky Fuchsbergers Rate-Team als Füchsin brillierte, da nahm das Kopfschütteln und große Wundern gar keine Ende mehr. Es gibt doch, bitteschön, Regeln, Madame!
Dabei war sie nur aus dem zu engen Rahmen, dem selbstgewählten und dem verpaßten, ausgestiegen wie weiland die Damen aus den Korsettstangen. Ein Kraftakt, wie man weiß. Und ein diebisches Vergnügen.
Woher kam die Kraft? Simone de Beauvoir hatte Sartre, Clara Zetkin Rosa Luxemburg, und Alice Schwarzer hatte – Emma. „Hätte ich die Emma auch gemacht, wenn mir damals, im Herbst 76, jemand alle persönlichen Folgen prophezeit hätte? Vielleicht hätte ich mir das ganze noch mal gut überlegt. Schließlich konnte ich nicht ahnen, daß diese Zeitschrift die nächsten zehn Jahre meines Lebens fressen würde; sie hat mir als Schreiberin oft nicht genug Zeit gelassen und mich zur Macherin verurteilt; sie hat mich in einem mir bis dahin unbekannten Ausmaße den weiblichen Selbstzerfleischungs- und den männlichen Spaltungsmanövern ausgeliefert; sie zwingt mich täglich neu zum Kampf um die (politische) Haltung, die (journalistische) Qualität und das (zum Existieren) notwendige Geld. Ich gebe zu, es war manchmal fast zuviel.“
Hätte Alice Schwarzer die Emma auch gemacht, wenn sie das alles gewußt hätte? Aber sicher. Emma, die letzte feministische Zeitung Europas (Auflage 80.000 – schuldenfrei) war genau das Instrument, mit dem sie sich den Augsteins, Dönhoffs, Gremlizas gleichstellen konnte. Emma war das Medium, in dem sich die zwei großen Talente der Alice Schwarzer, die Radikalität und die Lebensklugheit, so mischen konnten, daß der Mensch darüber nicht explodierte. Emma war auch ein einzigartiger Ort für Lernsüchtige und Veränderungsneugierige. Man stelle sich einmal vor, Alice Schwarzer hätte nur die Auf und Abs der Frauenbewegung als Klangkörper für ihren langen Atem gehabt, sie wäre erstickt vor lauter ungebändigter Kreativität – und wohl auch an Enge und Einsamkeit. Antje Vollmer, 49 Jahre alt
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