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Alibi von einem Mörder

■ Obermafioso entlastet Italiens Exregierungschef Giulio Andreotti

Rom (taz) – Seit Mitte vergangener Woche bekannt wurde, der Chef aller sizilianischen Mafiosi, Giovanni Brusca, wolle aussagen, erwarteten Mafia-Experten nichts Gutes. Brusca, einer der erbarmungslosesten Killer der Cosa Nostra, war nach mehreren Jahren im Untergrund vor drei Monaten bei Agrigent festgenommen worden, Polizisten waren danach mit dem Victory-Zeichen durch Palermo gebraust. Dem 33jährigen werden mehr als hundert eigenhändige Morde und ein mehrfaches an Aufträgen dazu zur Last gelegt.

Angeblich soll Brusca bereits am Tag nach seiner Verhaftung die „Kollaboration“ mit den Behörden begonnen haben – für einen hartgesottenen Mafioso höchst unwahrscheinlich.

Mittlerweile zeigt sich auch die Tendenz seiner Aussagen: Er enthüllt nur ganz, ganz wenige Dinge, die den Ermittlern bisher noch unbekannt waren, führt sie zu dem einen oder anderen seiner Verstecke, die nun sowieso nichts mehr nützen – und läßt dann über den Anwalt seiner Familie „durchsickern“, daß er trotz seiner hohen Stellung in der Mafia nie etwas von einem Zusammenspiel mit höchsten Repräsentanten früherer Regierungen gehört habe. Insbesondere daß der derzeit in Palermo wegen mafioser Bandenbildung und in Perugia wegen Anstiftung zum Mord vor Gericht stehende siebenmalige Ministerpräsident Giulio Andreotti, 78, jemals mit den Mafia-Oberbossen gekungelt habe sei höchst unwahrscheinlich. Allenfalls einige nachrangige Mitarbeiter hätten die Mafiosi zu Gesicht bekommen, aber man wisse nicht, ob die nicht etwa auf eigene Faust gehandelt hätten.

Andreotti sieht sich seither rehabilitiert und geht sofort in die Gegenoffensive: Jetzt komme „endlich die Wahrheit heraus“, zeigt er sich überzeugt von der „Wahrheit“ des hundertfachen Mörders, und bald werde sich auch erweisen, wer ihm „das alles angehängt“ habe: der derzeitige Oberbürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, bekannt als das erste entschieden antimafiose Stadtoberhaupt der Inselmetropole. Der habe über Freunde in den Staatsanwaltschaften einige verhaftete Mafiosi angestiftet, falsche Aussagen gegen ihn zu lancieren, unter anderem den Bericht über den legendären „Bruderkuß“ bei einem Geheimtreffen mit dem seit Jahren untergetauchten damaligen Oberboß Toto Riina.

Brusca wurde inzwischen in das Zeugenschutzprogramm für Mafia-Aussteiger aufgenommen – wobei die Behörden ausdrücklich betonen, daß damit „noch überhaupt nichts über seine Glaubwürdigkeit gesagt“ sei. Werner Raith

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