Algerier votieren für Staatschef: Merkwürdige Wahlbeteiligung
Angeblich haben 75 Prozent der wahlberechtigten Algerier abgestimmt. Mehr als 90 Prozent votierten dabei für den bisherigen Staatschef Bouteflika. Ein Schelm, wer Böses denkt.
MADRID taz Algeriens Präsident Abdelasis Bouteflika bekam, was er wollte. Der 72-Jährige wurde bei den Wahlen am Donnerstag mit 90,24 Prozent zum dritten Mal im Amt bestätigt. "Bitte blamiert mich nicht vor dem Ausland. Stimmt gegen uns, macht den Wahlzettel ungültig, aber geht wählen", hatte er immer wieder bei seinen Wahlkampfauftritten gefordert. Er wurde erhört. Die Wahlbeteiligung soll laut Innenministerium bei einer Rekordmarke von 74,54 Prozent gelegen haben.
Die restlichen fünf Kandidaten freilich schenken diesen Zahlen ebenso wenig Glauben, wie die Beobachter der nationalen und internationalen Presse. Sie fanden allerorten leere Wahllokale vor. In einzelnen Wahlbüros der Hauptstadt Algier und in der Region der Berberminderheit, der Kabylei, sollen sich zur Mittagszeit gerade einmal 3 Prozent der Wahlberechtigten eingefunden haben. Die Urnen seien "geschwängert worden", protestiert die Opposition. Der Ausdruck steht in Algerien für die bei Wahlen immer wieder beobachtete Betrugsmethode, bereits gefüllte Urnen aufzustellen. Die Arabische Liga, die neben der Afrikanischen Union und der Islam Konferenz als Beobachter geladen war, sprach von "ruhigen Wahlen". Westliche Wahlbeobachter waren keine zugelassen.
"Bouteflika erhielt damit ein regelrechtes Plebiszit", schreibt al-Watan, eine der größten frankophonen Tageszeitungen des Landes auf ihrer Internetseite. Ein Blick auf die letzten Wahlen lässt die Rekordbeteiligung mehr als unglaubwürdig erscheinen. Vor fünf Jahren gingen gerade einmal 58 Prozent zu den Präsidentschaftswahlen, und bei den Parlamentswahlen 2007 waren es nur 35,5 Prozent. Und selbst diese Zahlen sollen, so die Opposition, stark nach oben korrigiert worden sein.
Bouteflika, der eigens die Verfassung ändern ließ, um ein drittes Mal kandidieren zu können, hatte keine ernstzunehmenden Gegner. Die großen Oppositionsparteien, die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) und die Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD), traten nicht an. Es handle sich um einen "Verfassungsputsch", begründet der RCD-Vorsitzende Said Sadi einen Boykottaufruf. "An so einer Wahl teilzunehmen bedeutet, Komplize zu sein bei einer Operation, die die ganze Nation beleidigt", fügt er hinzu. So stellten sich nur fünf Kandidaten kleinerer Parteien zur Wahl. Die bekannteste unter ihnen ist Louisa Hanoune, Vorsitzende der trotzkistischen Arbeiterpartei (PT). Sie wurde mit 4,2 Prozent Zweite.
Die unabhängige Presse des Landes kritisierte die Wahlen bereits weit im Vorfeld. In der Verfassungsänderung, die Bouteflika eine dritte Kandidatur erlaubte, sehen sie eine Wiedereinführung der Präsidentschaft auf Lebenszeiten. Bouteflika, der sich im Wahlkampf als "Unabhängiger" darstellte, wurde von der ehemaligen Einheitspartei FLN sowie von Staatsapparat und Armee unterstützt. Auch die Islamisten des nordafrikanischen Ablegers von al-Qaida riefen über das Internet zum Boykott. Unklar blieb, ob sie für einen Bombenanschlag auf ein Wahllokal verantwortlich waren, bei dem am Donnerstag zwei Polizisten verletzt wurden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen