■ Algerien: Islamisten bieten einen Waffenstillstand an: Kein Frieden ohne die FIS
Die Armee des Islamischen Heils (AIS) will ab dem 1.Oktober die Waffen ruhen lassen. Auch wenn das Leiden der Zivilbevölkerung dadurch nicht sofort beendet sein wird, ist der gestern veröffentlichte Appell ein – wenn auch noch blasses – Licht am Ende des Tunnels.
Anders als im Zentrum des Landes, wo die radikalen Bewaffneten Gruppen (GIA) fast täglich Dörfer überfallen und Hunderte von Menschen töten, kam es im Osten und Westen des Landes, wo die AIS operiert, bisher kaum zu Massakern an der Zivilbevölkerung. Die AIS, der bewaffnete Arm der seit ihrem Wahlsieg 1992 verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS), hat sich in klassischer Guerillamanier Armee und Polizei zum Ziel erkoren.
Gerade deshalb machte die Truppe so wenige Schlagzeilen. Denn die Pressepolitik von Staatspräsident Liamine Zéroual läßt Berichte über sogenannte sicherheitsrelevante Informationen nicht zu. Tote Soldaten kommen deshalb in der algerischen Presse nicht vor. Daß gestern die meisten Zeitungen dennoch über den Appell von AIS-Chef Madani Merzag berichteten, anstatt die AIS einmal mehr totzuschweigen, ist ein positives Zeichen.
Zumindest vorübergehend scheint sich der verhandlungsbereite Armeeflügel um den General Betchine, ehemaliger Sicherheitschef der algerischen Armee und engster Berater von Staatspräsident Liamine Zéroual, durchgesetzt zu haben. Darauf deutete bereits die Freilassung des historischen FIS-Führers Abassi Madani hin.
Ob es jetzt tatsächlich zu einer Dynamik kommt, die die radikalen Gruppen auf beiden Seiten des Konflikts – die „Ausmerzer“ in den Reihen der Armee- und Staatsführung sowie die radikale GIA – isoliert, wie es der FIS-Exilleitung und vielen algerischen Demokraten vorschwebt, hängt nicht zuletzt auch von der Haltung des Ausland ab.
Die westliche Gemeinschaft muß den Algeriern unter die Arme greifen – bisher hat sie einfach weggeschaut. Bei einem solchen Prozeß auf die FIS und deren bewaffnete AIS zu verzichten, wäre ein nicht wieder gutzumachender Fehler. Denn zu viele Menschen unterstützen noch immer die Partei, auf die sie einst bei den ersten freien Wahlen ihre Hoffnung auf ein Ende der aus der Einparteienherrschaft geerbten Korruption und Mißwirtschaft setzten. Reiner Wandler
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