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Album des britischen Popstars Jamie xxEuphorie, Bass und Melancholie

Jamie xx gelingt auf „In Colour“ ein Spagat zwischen den Klangsignaturen von elektronischem Dancefloor und den Hooklines des Indierock.

Durch das Album „In Colour“ von Jamie xx zieht sich ein Dialog mit der Vergangenheit. Foto: Tom Beard/Promo

Tiefseetiere haben einen paradoxen Lebensstil. Tagsüber tauchen sie durch den schwarzen Untergrund des Ozeans, in den kein Sonnenlicht mehr dringt, und nachts schwimmen sie in Richtung Wasseroberfläche, wo sie Nahrung finden. Beim Londoner Produzenten Jamie Smith alias Jamie xx ist das ähnlich, wenn auch umgekehrt.

Als einer der gehyptesten Künstler des zeitgenössischen britischen Pop ernährt er sich seit jeher vom nächtlichen Sound des Undergrounds, operiert dabei aber stets an der Oberfläche. Das Mitglied des Indiepop-Trios The xx bespielt inzwischen die großen Festivalbühnen dieser Welt und hat bereits mit Stars wie der US-R & B-Sängerin Alicia Keys und dem kanadischen Rapper Drake zusammengearbeitet. Die DJ-Sets von Jamie xx sind jedoch vor allem von frühem britischen Jungle- und Dubstep-Sound geprägt und strictly underground.

2011 gelang Jamie xx mit „We’re New Here“ und seinem Remixalbum für den US-Soulmusiker, Jazzpoeten und Rappaten Gil Scott-Heron ein musikalischer Coup. Smith schaffte es, den Texten und Songs Herons mithilfe eines basslastigen, clubbigen Sounds einen State-of-the-Art-Anstrich zu geben, ohne in die Kitschfalle zu treten.

Potenzial zum Sommerhit

Ganz im Gegensatz zu seinem heute erscheinenden Debütsoloalbum „In Colour“, an dem der 27-Jährige sechs Jahre gearbeitet hat. Denn auf der Oberfläche spiegelt sich eine buntfröhliche Unbeschwertheit, die man vom ansonsten eher melancholischen Sound des Briten nicht gewöhnt ist.

Zwei Songs haben das Potenzial zu echten Sommerhits: „Loud Places“, das mit der Stimme der The-xx-Sängerin Romy Madley Croft, dem sedierend-gefälligen Gitarrensample samt Chor klingt wie ein Gospelsong für Pophörer auf der Suche nach Instanttranszendenz. Und „I Know There’s Gonna Be Good Times“, eine Kollaboration mit dem US-Rapper Young Thug und dem jamaikanischen Dancehall-Star Popcaan, deren Stimmen zusammen mit den vordergründigen Gesangsamples der Soulband The Persuasions eine Brücke zwischen der Dur-Fröhlichkeit des 20. Jahrhunderts und dem Gepose aktueller R & B-Produktionen schlägt.

Entschleunigung der Krise

Das neue Album

Jamie xx: „In Colour“ (Young Turks/Beggars Group/Indigo)

Jamie xx ist mit Dubstep sozialisiert. Einem Sound, der mit seinem düsteren wie melancholischen und vor allem entschleunigten Patterns nicht nur völlig neue Klangerlebnisse, sondern auch die angemessenere Reflektion der nuller Jahre, die in Großbritannien zunehmend von Krisen geprägt war, bot. Dubstep konnte in Städten wie Bristol und London entstehen, weil seine Produzenten unzufrieden mit der kulturellen Stagnation waren und etwas Eigenes kreierten, mithilfe kostenlos heruntergeladener Musiksoftware. So entstand ein Genre, das der chaotischen Gegenwart gewachsen war.

Clubmusik, somit auch Dubstep, unterliegt seit jeher kulturellen Zyklen. Auch Dubstep hatte Anfang der Zehner Jahre seine Ecken und Kanten verloren und kam im sogenannten Mainstream an. Durch Radiodauerberieselung konnte sein Sound keine Gefühle mehr wecken und war stattdessen zum bloßen Hintergrundrauschen geronnen.

Vor allem war Dubstep nicht mehr in der Lage, ein Lebensgefühl auszudrücken. Das Bedürfnis nach etwas Neuem, Anderem, Aufregenderem wurde so stark, dass Künstler begannen, mithilfe der neuesten Musiktechnik neue Klänge und neue Rhythmen zu produzieren. Inzwischen hat Dubstep das andere Ende dieses Zyklus erreicht – und ist in den Radiomainstream diffundiert, während unterhalb des Radars Hunderte kleine Labels weiterhin den „ursprünglichen“ Sound pflegen.

Ein zyklisches Zucken und Zaudern

Dieses zyklische Zucken und Zaudern von Dubstep hört man auch in den Tracks von „In Colour“. Durch das ganze Album zieht sich ein Dialog mit der Vergangenheit. So atmet der unmittelbar auf die Tanzfläche schielende Auftaktsong „Gosh“ die Energie früher Drum-’n’-Bass- und Jungle-Raves, bei dem eine Stimme immer wieder einige der zentralen, das Publikum anheizenden Codewörter der bis heute in Londoner Clubs präsenten MCs herunterbetet.

„Oh my gosh“ und „easy easy“ sagt die unter einem verlangsamten Breakbeat versteckte Männerstimme, bevor sich im zweiten Teil eine dramatische, aus zwei Akkorden bestehende Synthesizermelodie hereinschleicht und den Track in hymnisches Pathos kleidet.

Fehlenden Kontext lässt sich Jamie xx nicht vorwerfen. Ist doch Dubstep anders als Techno selbst für die längst im Pophimmel angekommenen Produzenten von einem strengen Glauben an die Community und ihre Codes geprägt. Deshalb ist „In Colour“ auch voll von Querverweisen an die Wurzeln und Ursprünge der Szene.

In völliger Dunkelheit

So nennt Smith in Interviews immer wieder Namen von Künstlern, Clubs und Labels, die sein Schaffen beeinflusst haben. Da wäre etwa der legendäre Londoner Club Plastic People, der nichts anderes war als ein kleiner, in völliger Dunkelheit belassener Raum mit einem großen Soundsystem, das den ganzen Körper zum Vibrieren bringen konnte.

Bis heute birgt das den wichtigsten Aspekt von Dubstep: Dunkelheit erzeugt ein Gefühl des Auf-sich-selbst-geworfen-Seins, die kathartische Konfrontation der Tänzerkörper mit dem Bass, das die Krise des Individuums reflektiert. Man hört das auch in „You wanna disappear in a crowd“, gesungen von Smiths Bandkollege Oliver Sim im Song „Stranger in the Room“. Alleinsein unter vielen war für Smith immer inspirierend, wie er im Interview erzählt. „Ich bin gerne ohne Begleitung ins Plastic People gegangen, das war am besten für diese unmittelbare Klangerfahrung. Bei Dubstep geht es um nichts anderes als um Dunkelheit und Kopfnicken.“

Bunt und nachdenklich

„In Colour“ ist alles andere als der Soundtrack für düstere Clubs und Kopfnicken. Unter den bunten, grellen Popsongs steckt eine Nachdenklichkeit, die gelegentlich von einer kurz aufblitzenden Düsternis gebrochen wird. Damit ist der Sound von Jamie xx auch ein Zeichen einer Zeit, in der jegliche Form der Kunst nicht mehr unabhängig von ihrer Rezeption produziert wird.

Jamie xx ist sich bewusst, dass er zentraler Bestandteil des kulturellen Zyklus von Dubstep ist. „Der beste Dancesound ist immer traurig“, sagte er mal in einem Interview – recht hat er. Viele Menschen gehen in Clubs, um eine persönliche Leerstelle in ihrem Leben zu füllen. Vielleicht lässt sich die Grundstimmung von Jamie xx daher am besten mit einem Paradoxon beschreiben, das auch zum Zustand unserer Gegenwart passt: melancholische Euphorie.

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