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■ Albaniens Regierung hat den bewaffneten Demonstranten den Krieg erklärt. Seit gestern hat die Armee das Recht, ohne Warnung zu schießen. Die Nachrichtensperre ist perfekt, die Telefonleitungen in den Süden sind gekappt."Die werden Vlore

Albaniens Regierung hat den bewaffneten Demonstranten den Krieg erklärt. Seit gestern hat die Armee das Recht, ohne Warnung zu schießen. Die Nachrichtensperre ist perfekt, die Telefonleitungen in den Süden sind gekappt.

„Die werden Vlorä plattmachen“

Unter dem schwarzen Doppeladler auf rotem Grund, der an der Stirnwand des albanischen Parlaments hängt, nahm er die Wahl an. Sali Berisha, seit 1992 der erste nichtkommunistische Präsident Albaniens, brauchte gestern eine Kampfabstimmung nicht zu fürchten. Denn 122 der 140 Abgeordneten gehören seiner Demokratischen Partei an. Und die Opposition nimmt an den Parlamentssitzungen schon lange nicht mehr teil.

Widerstand gegen ihn und seine Herrschaft jedoch ist aus vielen Landesteilen zu vermelden. Es sind große Teile der Bevölkerung, vor allem im Süden des Landes, in Bewegung geraten. In Vlorä, der zweitgrößten Hafenstadt des Landes, hat die Staatsmacht schon seit zwölf Tagen nichts mehr zu melden. Was zunächst nur eine Protestbewegung anläßlich des Zusammenbruchs einiger Investmentfirmen war, hat sich zu einer regelrechten Aufstandsbewegung entwickelt. Die Bevölkerung stürmte die Waffendepots von Armee und Polizei. Meist widerstandslos ließ sich die Staatsgewalt entwaffnen. Und hungerstreikende Studenten in Vlorä hatten Sonntag ultimativ den Rücktritt des Präsidenten gefordert. Würde dies nicht geschehen, so hatten sie gedroht, würden sich noch in der Nacht ganze Kolonnen von Aufständischen in Richtung Tirana in Bewegung setzen.

Doch die Antwort der Staatsmacht kam schnell. Schon kurz nach 17 Uhr wurde am Sonntag der Ausnahmezustand ausgerufen. Ab 20 Uhr herrschte eine Ausgangssperre. Seither dürfen nicht mehr als vier Leute zusammenstehen. Die Presse wurde einer strikten Kontrolle unterworfen. Veröffentlicht darf nur noch werden, was vom Staate genehmigt wird. Ausländischen Journalisten ist es verboten, sich in den Aufstandsgebieten aufzuhalten. Die Aufständischen sollten bis Montag um 14 Uhr die Waffen niederlegen, hieß es aus dem Präsidentenpalast. Ab dann habe die Armee das Recht, ohne Warnung zu schießen. Umringt von Bodyguards erklärte Innenminister Halit Shamada gestern, die „Terroristen“ hätten 20.000 bis 30.000 Waffen an sich gebracht und Straßenverbindungen unterbrochen. Als Missetäter machte der Minister Kriminelle und Kommunisten aus, die den Aufstand leiteten. Sie hätten in Vlorä die öffentlichen Gebäude, die Banken und Supermärkte gestürmt. Deshalb hätte die Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen.

Die Menschen auf den Straßen Tiranas sind bedrückt. Kaum jemand will Fragen beantworten. Wie in alten Zeiten wird erst die Umgebung gemustert, um ein paar schnelle Sätze auszustoßen. „Wir bleiben jetzt alle zu Hause“, sagt ein Student, der mitdemonstriert hat. Viele betonen plötzlich, gute Albaner zu sein, manche aber auch, daß Präsident Berisha ein guter Präsident sei. Andere sind davon überzeugt, daß der Staat dem Treiben in Vlorä ein Ende setzen müsse. Überall in der Stadt, um den Skanderbeg-Platz, in den Marktstraßen der Altstadt – wo die Armut so sichtbar ist wie in den Slums der dritten Welt – stehen Polizeiposten. Und die Herren von der Geheimpolizei Shik geben sich inmitten schlecht gekleideter Menschen mit ihren schicken Regenmänteln und den teuren Sonnenbrillen nicht einmal die Mühe, ihre Identität zu verbergen.

Das taten sie auch nicht, als sie in der Nacht zum Montag die Redaktion der größten unabhängigen Tageszeitung Koko Jone besuchten. Zuerst malträtierten sie den Wachmann, berichten Mitarbeiter der Zeitung. Um vier Uhr früh legten sie dann Feuer. Die Redaktionsräume bieten seither ein Bild der Verwüstung. Akten und Computer sind zerstört, die Böden und Möbel verkohlt. Das gesamte Archiv der Zeitung wurde zerstört.

Ben Blushi ist der Chefredakteur. Der schlanke, hohlwangige junge Mann hat seit fünf Jahren den Versuch unternommen, die Zeitung regierungsunabhängig zu führen. Seine Versionen der Vorgänge im Süden des Landes widersprechen denen des Innenministers. Die Menschen hätten nur anfänglich wegen der Investmentgesellschaften und den Zusammenbruch der „Pyramiden“ demonstriert. Dann hätte die Geheimpolizei eingegriffen. Die Menschen seien geschlagen worden, manche ermordet. Erst dann hätte sich die Bewegung radikalisiert. „Kriminelle sind sicher auch unter diesen Menschen aktiv. Aber die Leute wollen nur sich und ihre Familien schützen, deshalb haben sie zu den Waffen gegriffen“, sagt Ben Blushi. In den Augen der Mitarbeiter schlug hier die Zensur direkt und offen zu. „Auch wenn wir wieder produzieren könnten, wir würden nichts mehr schreiben“, so der Chefredakteur.

Seit Montag um 14 Uhr darf die Armee schießen. Die Nachrichtensperre wirkt perfekt, die Telefonleitungen in den Süden sind gekappt. „Wir werden den Kommunisten zeigen, wo es langgeht.“ Der Mann mit der Sonnenbrille verstaut gerade Sachen in seinem Geländewagen. Drei weitere junge Männer kommen hinzu. Offen werden die Waffen aufs Gepäck gelegt. Als die Nachricht von der Wiederwahl des Präsidenten eintrifft, nimmt einer eine Maschinenpistole und schießt in die Luft. Dann fahren sie in Richtung der Ausfallstraße nach Süden.

„Die werden jetzt Vlorä plattmachen“, flüstert ein junger Mann. In der Tat ist zu befürchten, daß ab jetzt in Albanien Blut fließen wird. Erich Rathfelder, Tirana

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