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■ Albanien befindet sich am Rande eines BürgerkriegsDie Kehrseite der Macht

Wenn die politische Opposition den Bürgerkrieg wolle, hatte der nun gefeuerte albanische Regierungschef Aleksander Meksi vor zwei Wochen getönt, könne sie ihn haben. Daß das „Forum für Demokratie“, in dem sich zehn Parteien von links bis rechts zusammengeschlossen haben, gerade zu verhindern trachtete, was jetzt eingetreten ist, versuchte das staatlich kontrollierte Fernsehen – eine Lügenfabrik sondergleichen – der Öffentlichkeit hartnäckig zu verheimlichen. Die politische Opposition forderte den Dialog am runden Tisch, und Meksi verlangte hartnäckig die Verhängung des Ausnahmezustands. Die Opposition gab die Parole „Blumen statt Steine“ aus, und Meksi bezichtigte sie des Terrorismus. Jetzt bewaffeten sich aufgebrachte Bürger, lynchten Geheimpolizisten und befreiten Gefangene. Schüsse statt Steine.

Der Opposition versucht, aus der Krise politisches Kapital zu schlagen. Doch richtet sich der Protest der frustrierten Massen nicht gegen die Politik der Regierung schlechthin, sondern gegen ein Regime, das die Halunken, die den Leuten ihre Ersparnisse aus der Tasche gezogen haben, gewähren ließ, weil es selbst von ihnen profitierte, wie Meksi in einem Anfall von Ehrlichkeit jüngst freimütig zugab. Die Leute wollen keine andere Politik, sie wollen ihr Geld.

Daß der Protest so militante und gewalttätige Formen annimmt, kann nicht verwundern. Der Staat war in Albanien immer Fremdherrschaft, de jure unter dem Osmanischen Reich, de facto unter der kommunistischen Diktatur, und die vergangenen fünf Jahre haben keine neue Tradition begründet. Die heutige politische Klasse, das betrifft Regierung wie Opposition nahezu gleichermaßen, war – Staatspräsident Berisha eingeschlossen – mit dem alten Regime verbandelt. Eine zivile Gesellschaft konnte sich im stalinistischen Albanien anders als in anderen osteuropäischen kommunistischen Diktaturen nicht einmal ansatzweise entwickeln. In einer solchermaßen geschlossenen Gesellschaft aber vermischen sich Politik und Verbrechen besonders nachhaltig. Und so ist die Gesetzlosigkeit, die sich in Vlorä, einem Zentrum des Drogen-, Waffen- und Frauenhandels, ausbreitet, nur die Kehrseite des rechtmäßigen Regimes, das nicht weniger in mafiose Geschäfte verstrickt ist. Thomas Schmid

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