Al-Qaida nach bin Ladens Tod: "Seine Ideologie lebt weiter"
Für die Al-Qaida-Zentrale ist bin Ladens Tod ein harter Schlag. Aber gleich morgen verschwinden wird der Dschihadismus nicht, meint der Politologe Asiem El Difraoui.
taz: Herr Difraoui, ist al-Qaida nach dem Tod von bin Laden am Ende?
Asiem El Difraoui: Für die Al-Qaida-Zentrale im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet ist das schon ein harter Schlag. Aber ein Todesstoß ist es vermutlich noch nicht. Viel wird auch davon abhängen, ob es al-Qaida schafft, seinen Anhängern bin Ladens Tod als heldenhaft zu verkaufen. Im Internet hat die Deutungsschlacht schon begonnen.
Welche Rolle hat bin Laden für al-Qaida zuletzt gespielt?
Bin Laden war die repräsentative Führerfigur, die mediale Ikone des globalen Dschihad. Aber um das Operative, das Tagesgeschäft sozusagen, haben sich wohl schon länger andere gekümmert: sein Stellvertreter Aiman al-Sawahiri oder der jüngere Ideologe und Kämpfer Abu Jahja al-Libi. Und für die Franchisefilialen der Terrororganisation in Jemen oder im Maghreb ändert sich durch den Tod von bin Laden ohnehin zunächst wohl wenig.
Asiem El Difraoui, 45, ist Politikwissenschaftler und Experte für Dschihadismus. Er arbeitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Die Basis: Gegründet wurde al-Qaida ("die Basis") Ende der achtziger Jahre im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Die US-Regierung schätzt die Zahl der Kämpfer in der Region auf mehrere tausend. Für den globalen Dschihad gilt die Führung um Osama bin Laden und Aiman al-Sawahiri allerdings schon lange nicht mehr als der gefährlichste Kern der Islamisten. Viele Al-Qaida-Filialen planen und verüben ihre Anschläge autonom.
Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel: Diese Gruppe entstand im Jahr 2009 aus dem Zusammenschluss der Al-Qaida-Zweige in Saudi-Arabien und im Jemen. Zuvor hatte ein dreijähriger Antiterrorkampf der saudi-arabischen Regierung die Aktivitäten der militanten Muslime im Geburtsland des Islam fast völlig zum Erliegen gebracht. Die Zentrale der Gruppe ist nun das Nachbarland Jemen. US-Behörden halten die Al-Qaida-Gruppe im Jemen um den Anführer Nasser al-Wahishi, einen langjährigen Verbündeten von bin Laden, für die derzeit schlagkräftigste Al-Qaida-Filiale überhaupt.
Al-Qaida im Maghreb: Diese Gruppe ging aus Salafisten in Algerien hervor, die dort einen jahrelangen Kampf gegen Sicherheitskräfte führten. Ende 2006 verschworen sie sich einer breiter gefassten Dschihad-Ideologie und schlossen sich al-Qaida an. Sie verübten 2007 eine Reihe von Anschlägen auf Einrichtungen der Regierung, der Sicherheitskräfte sowie das Büro der Vereinten Nationen in Algier. Seit die Sicherheitskräfte 2008 einige Zellen zerschlugen, wurde es um die Gruppe ruhiger. Experten schätzen die Zahl ihrer Kämpfer auf mehrere hundert. Sie sind vor allem in den Wüstenregionen im Nordosten Mauretaniens, im Norden Malis und im Niger aktiv. Zuletzt traten sie vor allem mit der Entführung westlicher Ausländer in Erscheinung, für die sie Lösegeld forderten.
Al-Qaida im Irak: Der Ableger wurde im Oktober 2004 von dem Jordanier Abu Mussab al-Sarkawi gegründet. Nach dessen Tod 2006 soll der Ägypter Abu Ajjad al-Masri, der auch unter dem Namen Abu Hamsa al-Muhadschir bekannt ist, die Führung übernommen haben. Im Oktober riefen von al-Qaida geführte Untergrundgruppen und Stammesführer einen islamischen Staat im Irak aus und ernannten ein "Kabinett" mit al-Masri als Kriegsminister und Abu Omar al-Baghdadi an der Spitze. Am 18. April wurden al-Masri und al-Baghdadi von irakischen und US-Soldaten getötet. Seitdem ist Abu Baker al-Baghdadi al-Husseini al-Kuraschi der starke Mann. Die Gruppe verübt zwar zunehmend weniger, aber umso schwerere Anschläge. Im Oktober nahm sie rund 100 Christen in einer katholischen Kirche in Bagdad als Geiseln. Bei der Befreiungsaktion wurden 52 Geiseln und Polizisten getötet. (reuters/dpa/taz)
"Wenn ich sterbe, wird der Krieg weitergehen", hat bin Laden einmal gesagt. Ist das so?
Das glaube ich schon, ja. Bin Laden ist tot, seine Ideologie lebt weiter. In Schriften oder in den unzähligen Videos im Internet. Es wird immer wieder Splittergruppen geben, die den von bin Laden geschaffenen ideologischen Korpus übernehmen werden. Der Dschihadismus wird nicht von heute auf morgen verschwinden, sondern uns sicher noch einige Jahrzehnte beschäftigen.
Könnte es jetzt zu Racheanschlägen kommen?
Racheakte könnte es schon geben, aber ob die hoch organisiert sein werden, ist fraglich. Dass aber einzelne Zellen oder Sympathisanten isolierte Wahnsinnstaten begehen könnten, etwa Angriffe gegen US-Bürger oder amerikanische Einrichtungen, könnte ich mir schon vorstellen. Die spannende Frage wird aber sein: Hat die al-Qaida-Zentrale noch Karten in der Hinterhand? Schaffen es die restlichen Kader um al-Sawahiri, sich zu sammeln und noch einmal ein spektakuläres Attentat durchzuführen?
In Nordrhein-Westfalen wurden Ende der vergangenen Woche drei Männer bei der Planung eines Anschlags festgenommen. Der mutmaßliche Anführer der "Düsseldorfer Zelle" soll den Befehl direkt von al-Qaida im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet bekommen haben. Das gab es noch nie in Deutschland. Waren Sie überrascht?
Es ist eher erstaunlich, dass jetzt zum ersten Mal konkrete Pläne für einen Anschlag von al-Qaida in Deutschland bekannt wurden und das nicht schon vorher passiert ist. Denn dass Deutschland ein Ziel von al-Qaida sein könnte, war schon lange klar, und es wird es vermutlich auch weiter bleiben - auch nach bin Laden.
Bin Ladens Tod ist nicht der einzige Rückschlag für al-Qaida. Die arabische Revolution hat ohne das Zutun der Dschihadisten stattgefunden. Wie sehr hat das al-Qaida geschwächt?
In Ägypten und Tunesien war al-Qaida wirklich außen vor und wusste lange gar nicht, wie man reagieren soll. Der späte Versuch, die Revolutionen für sich zu reklamieren, war dann durchsichtige Propaganda. Aber im Jemen sieht die Sache schon etwas anders aus. Der dortige Chefideologe von al-Qaida, Anwar al-Awlaki, hat gerade in einer Sonderausgabe der englischsprachigen Terrorpostille Inspire angekündigt, man wolle das Vakuum im Jemen und in Libyen ausnutzen.
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