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Aktivistin über das Leben in Afghanistan"Frauen sind niemand"

Der Westen hat sich für die Rechte der Frauen eingesetzt. Jetzt kann er sich nicht so einfach aus dem Land zurückziehen, sagt die Aktivistin Noorjahan Akbar.

Straßenszene in Afghanistan. "Wenn heute ein vierjähriges Mädchen vergewaltigt wird, erhebt niemand für das Kind seine Stimme", beklagt Noorjahan Akbar. Bild: Reuters
Interview von Martin Gerner

taz: Frau Akbar, die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft streben Verhandlungen zur Lösung der Konflikte an. Erste Vorgespräche hat es in Afghanistan bereits gegeben. Stärken Verhandlungen die Taliban?

Noorjahan Akbar: Ich behaupte nicht, dass die internationale Gemeinschaft die Taliban unterstützt. Aber letztlich sagt sie, ohne es an die große Glocke zu hängen: Lasst uns den Einsatz beenden und Afghanistan verlassen. Aber das heißt, Afghanistan falsch zu einzuschätzen. Denn wollte man den Einsatz beenden und gehen, hätte man das schon nach dem Sturz der Taliban Ende 2001 machen können - ohne so viele unserer Leben zu riskieren und den Tod von Zivilisten in Kauf zu nehmen. Da die westlichen Länder sich hier aber engagiert und den Frauen einige Freiheiten gebracht haben, können sie jetzt nicht so einfach gehen und alles wieder den Taliban überlassen. Das aber passiert gerade, wenn auch langsam: Bis 2008 wurde versucht, Warlords zur Verantwortung zu ziehen. Es gab sogar Versuche, das sie schützende Amnestiegesetz aufzuheben. Aber wenn heute ein vierjähriges Mädchen vergewaltigt wird, erhebt niemand für das Kind seine Stimme.

Sie sagen, selbst im Zentrum Kabuls, wo Sie leben, herrsche ein frauenfeindliches Klima.

Ja. Kürzlich ging ich mit meiner Schwester in der Abenddämmerung die Straße entlang. Ein Auto fuhr erst langsam neben uns her und kam dann direkt zu mir herangefahren, woraufhin ich weglief. So etwas passiert fast wöchentlich. Ich höre Männer auf der Straße sagen: "Hoffentlich kommen die Taliban bald zurück und zahlen es diesen Prostituierten heim". Früher war das nicht möglich, da konnte ich noch zur Polizei gehen. Doch heute behandelt mich auch die Polizei wie eine Prostituierte. Polizisten stoppen uns am Abend und wollen meine Heiratsurkunde sehen, selbst wenn ich von meinem Bruder begleitet werde. All das erweckt den Eindruck, als hätten die Regierung und die internationale Gemeinschaft die eine Hälfte unserer Gesellschaft komplett vergessen.

Ausländische Frauen in Afghanistan machen meist nicht diese Erfahrung. Woran liegt das?

Weil diese Frauen Bodyguards und Autos haben. Sie sind keine armen Afghaninnen, die sich nicht mal ein Taxi leisten können. Für internationale Organisationen wie für die Regierung zählen nur die Zahlen: Wie viele Mädchen gehen zur Schule, wie viele Frauen arbeiten? Sie wissen nicht, was einem Mädchen oder einer Frau auf dem Schulweg passiert. Im Schnitt geht ein afghanisches Mädchen nicht mehr als zwei bis vier Jahre zur Schule. In dieser Zeit lernt sie in dem afghanischen System oft nicht einmal Lesen und Schreiben. Und dann heiratet sie, oft zwangsweise.

Noorjahan Akbar

Die 19-jährige Akbar lebt in Kabul. Sie studierte ein Jahr am Dickinson College in US-Bundesstaat Pennsylvania und ist Mitbegründerin der unabhängigen Basisorganisation Young Women for Change. Die im April 2011 gegründete Gruppe setzt sich mittels Aufklärungsarbeit für die Stärkung von Frauenrechten in Afghanistan ein und zielt auf eine stärkere Teilhabe von Frauen am sozialen und wirtschaftlichen Leben.

Am 14. Juli machte die Organisation mit einem viel beachteten Protestmarsch durch Kabuls Regierungsviertel auf die sexuelle Belästigung von Frauen aufmerksam.

Wie erleben Sie das konkret an Ihrem eigenen Wohnort?

Das Viertel in Kabul, in dem ich lebe, gilt als sicher, dort gibt es gebildete Menschen, Schulen und Universitäten. Trotzdem bekamen wir seit unserem Einzug bereits drei Warnungen von unserem Vermieter, der Kommandeur ist. Weil die Mitarbeiter unserer Organisation sich oft bei uns in der Wohnung treffen, halten er und andere uns vor, wir würden hier ein illegales Gewerbe, ein Bordell betreiben. Noch vor zwei Jahren hätte jemand dies nicht so einfach behaupten können. Doch jetzt, wo durch den sogenannten Versöhnungsprozess ein entsprechendes Klima im Land geschaffen wurde, meinen diejenigen, die wie die Taliban denken, dass sie sowohl von der Regierung als auch der internationalen Gemeinschaft Rückenwind haben.

Den Erklärungen der internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung der Frauen sind keine Taten gefolgt?

2001, als die von den USA geführten Nato-Kräfte den Krieg "gewonnen" hatten, erklärte die US-Präsidentengattin Laura Bush, das Ziel der USA sei, die Menschen- und Frauenrechte zu schützen. Wenn Sie jetzt, zehn Jahre später, in Kabuls US-Botschaft jemanden fragen, ob dies das vorrangige Ziel der USA sei, wird er nein sagen. Das Hauptziel der USA ist, zu verhandeln und in Afghanistan Frieden zu erreichen. Frauen werden dabei nicht erwähnt. Frauen sind niemand. Es ist erschütternd, wie sich das verändert hat.

Heute schaut die Welt auf die arabischen Staaten. Inspirieren die dortigen Ereignisse, trotz aller Unterschiede, die junge afghanische Generation?

Ich habe mich kürzlich in einem Interview gegen die Idee einer Friedensdschirga ausgesprochen. Denn der Hohe Friedensrat kann nicht zu einer Friedensdschirga werden, wenn er zu 80 Prozent aus Warlords besteht, die in den 90er Jahren Kabul in Brand gesteckt haben. Jetzt behaupten sie, sie würden über Frieden sprechen. Das ist lächerlich. Es ist so, als würden Kriminelle über Gerechtigkeit sprechen. Kritisieren wir das öffentlich, wird schnell versucht, uns mundtot zu machen.

Wie geht Ihre Organisation Young Women for Change vor? Am 14. Juli haben wir mit Flugblättern und Plakaten öffentlich dagegen protestiert, dass Frauen in der Öffentlichkeit belästigt werden. So konnten wir eine öffentliche Debatte anregen. Einer der lokalen TV-Sender widmete seine Freitagssendung dem Thema Belästigungen auf der Straße. Aber statt für uns zu argumentieren, machten sie die Frauen dafür selbst verantwortlich. Zumindest hat unser Marsch ihre Aufmerksamkeit und die der internationalen Medien geweckt. Für uns sind die Belästigungen eine Verletzung unserer Menschenrechte. Sie hindern Frauen an einer sozialen Teilhabe.

Das ist ein großes Risiko.

Alles, was Sie in diesem Land machen, ist mit Risiken verbunden. Das hat sich noch einmal verschärft. Wenn ich heute vergewaltigt werde, wird sich niemand vor Gericht für mich einsetzen. Die Menschenrechtskommission wird schweigen, und ich werde wahrscheinlich nicht einmal einen Anwalt bekommen, um mich verteidigen zu können. Das Risiko einer Vergewaltigung ist für mich als Frau, die jeden Tag das Haus verlässt, sehr groß.

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12 Kommentare

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  • C
    Cathrin

    @Tina die "Links"partei ... sind Heuchler, waren sie schon als diese Partei noch SED/PDS hieß!

     

    Das gilt doch wohl für alle Parteien. Saudi-Arabien ist da nur ein Beispiel.

    Im übrigen gibt es schon eine deutsche Waffenfabrik im Iran die G3 Gewehre herstellt.

    Siehe auch die Ölregion am Kaspischen Meer(Kasachstan und Aserbeidschan) auch dort gibt es nur "demokratische Regime die Unterstützt werden. Im übrigen nehmen sich da alle Regierungen von Rot-Grün über schwarz-rot zu schwarz-gelb nichts.

    Wenn es um Menschenrechte geht, sind Frauen in der Regel nicht mit gemeint.

    Ob das mit Waffen für Frauen besser wäre würde ich eher bezweifeln. Aber Asyl sollte es auf jeden Fall geben, aber darauf dürfen ja nicht mal aussagewoillige Zwangsprostituierte in Deutschland hoffen.

    Und auch in Libyen sind doch gerade Deutsche Gewehre entdeckt worden.

    Hauptsache Kraus-Maffai und Hekler und Koch verdienen ordenrtlich mit dem Tod.

  • CR
    Christine Rölke-Sommer

    ich denke, die junge frau weist auf ein großes versäumnis hin, nämlich: die UN hat von dem, was ihr an instrumentarium zur verfügung steht, schlechten gebrauch gemacht. anders gesagt: sie hätte unter rückgriff auf resolution 1325 eine etwas andere strategie fahren können als sie die am waffengang beteiligten hat fahren lassen.

    mein vorschlag zur lösung des problems lautet schon seit langem: bewaffnet die afghanischen frauen!

    und: erkennt jede afghanische frau ohne wenn und aber als asylberechtigte an!

    das 1. zwingt, sie als gegner ernstzunehmen. und das 2. bewirkt, dass afghanische männer begreifen, dass 'ihre' frauen nicht ihre sind, denn die können auch woanders hingehen und werden nicht zurückgeschickt.

  • T
    Tina

    @Wolfgang Weinmann, die "Links"partei ... sind Heuchler, waren sie schon als diese Partei noch SED/PDS hieß!

     

    @Thomas Bode, und Menschenrechte gibts nur dort wo es der Partei passt?

  • M
    Michael

    Das Problem ist natürlich die mangelnde Repräsentanz der Frauen. Mit ein paar rein äußerlichen Schauprojekten für westliche Medien, Vorzeigeschulen, Präsidentengattinnen etc. lässt sich das nicht lösen, man / frau muss schon dorthin schauen, wo die Strukturen verankert sind und das sind - Stichwort Warlords - die kämpfenden Einheiten. Wahrscheinlich war es ein grundsätzlicher Fehler, dass der Westen Truppen, deren kämpfender Teil vorwiegend aus Männern bestand, nach Afghanistan geschickt hat, denn das bestätigte die dortigen Geschlechterstrukturen - die Taliban mussten eben doch Männern weichen und nicht Frauen. ALSO: Soldatinnen müssen her. FRAGE: Wie sieht es mit der oft zitierten Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte aus? Sorgt man wenigstens dort für angemessene weibliche Repräsentanz? Ich bin mir sicher: Sobald genug Frauen mit Kampferfahrung und Waffe in der Hand durch die Straßen gehen, wird sich einiges ändern. Sogar in Kabul. DESHALB: Verlängerung des Aghanistan-Einsatzes ja - WENN er mit mehr Soldatinnen an vorderer Front erfolgt. Alles andere ist wenig hilfreich.

  • M
    marco

    Was war, ist Vergangenheit. Die Zukunft ist entscheidend!

    Hier ist ein Hilferuf erkennbar.

    Deckmantel hin oder her, die Frauen konnten sich frei bewegen und an der Gesellschaft teilnehmen.

    Wenn wir uns aus Afghanistan zurückziehen, geht die Sicherheit der Frauen vollständig verloren und was dann? Wollen wir da wirklich zusehen?

    Es geht hier nicht um uns, also warum nicht medial noch mehr Aufmerksamkeit schaffen und Hilfe anbieten? ...

  • P
    Petra

    Ich sehe nur 3 Möglichkeiten:

     

    1. Die westliche Allianz bleibt als Aufpasser bis in alle Ewigkeit in Afghanistan.

     

    2. Der Westen zieht ab. Das Afghanische Volk macht sich selbst auf die Beine um ihrem eigenen Teufelskreis zu verlassen oder darin zu verharren.

     

    3. Das Land wird komplett besetzt, bis auf Polizei und Militär vollständig entwaffnet, unter Androhung der Todesstrafe bei Waffenbesitz. Anschließen wird die Bevölkerung umerzogen. Hat in Deutschland nach dem Krieg auch geholfen.

  • M
    Markus

    Wenn es zur islamischen Kultur gehört das Frauen niemand sind sollte der Westen sich dort nicht einmischen!

  • T
    Tanja

    Gottverdammt Nitz. Das ist ja wohl die Aufgabe, der internationalen Gemeinschaft, Frauen zu schützen. Und wenn sie dies nicht tun tragen sie sehr wohl eine, eine verdammt große, Mitverantwortung. Und zwar für jeden Übergriff.

  • GN
    Graf Nitz

    Also wie jetzt?

     

    Die Internationale Gemeinschaft ist Schuld an diesen Zuständen????

  • S
    StefanMarc

    Frauenrechte, Menschenrechte, Errichtung eines demokratisch westlich geprägten Staates in Afghanistan, das war doch für die Amerikaner immer nur ein "nettes Deckmäntelchen", um den Krieg in Afghanistan oder im Irak führen zu können. Genau in diese Falle sind doch auch die GRÜNEN gelaufen, als sie dem Kriegseinsatz in Afhganistan zugestimmt haben.

     

    Wenn es den Amerikanern und Europäer so suuuper ernst mit diesen Themen wäre, warum unterstützen sie als engen Verbündeten das Land Saudi-Arabien mit Panzerlieferungen und jeder Form der Diplomatie. Wobei doch bekannt ist, das gerade Saudi-Arabien von den strenggläubigen Wahabiiten und einem ausbeuterischen Familienclan mit Luxusyachten vor Ibizza regiert wird. In Saudi-Arabien dürfen Frauen bisher nicht einmal ein Auto steuern und demokratische Wahlen gibt es dort nicht. Doch das ist der NATO total egal in Saudi-Arabien.

     

    Nein das die Amerikaner und NATO an Demokratie, Frauenrechte und Menschenrechte vorrangig bei Ihren Militäreinsätzen interessiert sind, das glaubt doch keiner mehr. Wer Saudi-Arabien aufrüstet und dort den Familienclan unterstützt, der muss mir nicht groß erzählen, das er sich für Menschenrechte, Frauenrechte und Demokratie einsetzt. Das ist nur ein Deckmäntelchen, das übergezogen wird, wenn es passt und auch wieder schnell ausgezogen wird, wenn es zu teuer kommt oder machtpolitisch nicht zum Vorteil gereicht oder Wirtschaftsinteressen (Erdöl) entgegensteht.

  • TB
    Thomas Bode

    Weil sich der Westen engagiert hat und den Frauen einige Rechte verschaffte, darf er jetzt nicht gehen...

    Seltsame Logik.

    Allerdings ist es in der Tat furchtbar was in Afghanistan abläuft, sexueller Missbrauch, auch von Kinder beispielsweise. Ungeahndet wegen der Machtposition der Täter.

    Das Problem ist allerdings dass es nicht nur darum geht Steuergelder in dieses Land zu pumpen oder dergleichen. Dann wäre die Situation klar: pro Einsatz. Sondern es werden Menschen aus unserem Land mit Waffen dorthin geschickt um zu töten und verwunden, und/oder getötet und verwundet zu werden. Jemanden in eine Situation zu bringen in der er auf Menschen schiessen muss, diese als Todfeinde zu betrachten ist übrigens auch extrem traumatisierend. Nicht nur für ihn, sondern auch Angehörige, usw...

    Es gibt schlicht kein moralisches Recht seitens der deutschen Politik, und auch nicht seitens afghanischer Menschen, dies zu fordern und zu veranlassen. Krieg muss Ultima Ratio und sonst gar nichts bleiben. So gerne man auch skandalöse Mißstände weltweit beseitigen würde.

  • WW
    Wolfgang Weinmann

    Oh - das hört sich ja beinahe so an, als ob der Afghanistaneinsatz ein Gebot der Menschlichkeit ist. Was da die TAZ-Anzeigenaufgeberin "dieLinke" dazu sagt? "Alles Lüge"? Und was muß ich daraus schlußfolgern? Daß der Linkspartei die Rechte der Frauen und Kinder in Afghanistan scheißegal sind? Hauptsache, man kann gegen die böse Bundeswehr stänkern?