Aktivistin über White Panther: „Unser Kampf hat sich gelohnt“

Leni Sinclair ist Chronistin von Jazz und Rock ’n’ Roll und arbeitete für die Band MC5. Gespräch über „Howl“ als Erkennungszeichen und die heilende Kraft von Marihuana.

MC 5 live in Mount Clemens, Michigan, 1969. Bild: Leni Sinclair

taz: Leni Sinclair, Sie sind in der DDR groß geworden. Wodurch sind Sie mit Popmusik in Berührung geraten?

Leni Sinclair: Mit zwölf habe ich ein Transistorradio geschenkt bekommen und heimlich Radio Luxemburg gehört, auch nachts unter der Bettdecke. „Rock around the Clock“. Mein erster Held war Harry Belafonte, etwas später Ella Fitzgerald und Louis Armstrong. Meinen Bruder, der in der NVA diente, hat man beim Hören von Westradio erwischt, er musste dafür sitzen.

1958 gingen Sie zunächst nach Westdeutschland, ein Jahr später in die USA. Kamen Ihnen die USA als Land der Verheißung vor?

Nein, ich wohnte zunächst bei Verwandten, hatte aber großes Heimweh und fühlte mich sehr einsam. Es hat lange gedauert, bis die Dinge ins Rollen kamen.

Wodurch?

Um mein Englisch zu verbessern, habe ich als Kindermädchen gearbeitet. Und ich wagte einen Zugangstest zu machen, bestand ihn und wurde zur Detroiter Wayne State University zugelassen. Ich war die Erste in meiner Familie! Ich dachte irrtümlicherweise, wer ein Beatnik ist, geht zur Universität. Also rannte ich mit einem Exemplar von Allen Ginsbergs „Howl“ rum, das wurde erkannt, und so kam ich ins Gespräch mit Gleichgesinnten. Einer von ihnen war James Gurley, der später mit Janis Joplin Big Brother & the Holding Company gründete.

Magdalena „Leni“ Arndt wurde 1940 in Königsberg geboren und wuchs in Vahldorf nahe Madgeburg auf. 1958 floh sie nach Hildesheim. Im Jahr darauf wanderte sie in die USA aus und begann Geografie zu studieren. 1964 traf sie in Detroit John Sinclair, der wie sie an der Wayne State University studierte. Sie heirateten 1965. Beide arbeiteten für die Rockband The MC5, beide waren ab 1968 aktiv bei den White Panthers.

Leni Sinclairs Fotografien von Musikern wurden vielfach ausgestellt, zuletzt in der Aramande-Galerie in Lille. Sie hat zahlreiche Fotobücher veröffentlicht, darunter „Detroit Rocks! A Pictorial History of Motor City Rock and Roll. 1965-1975“. Detroit Artists Workshop Press, 2013, 112 S. Der Detroit Artists Workshop feiert 2014 sein 50-jähriges Bestehen.

Mehr zu The MC5, den White Panthers und John & Leni Sinclair in dem exzellenten Dokumentarfilm „MC5: A true Testimonial“ (Regie: David C. Thomas. USA 2002, 120 Min. )

Und dann?

1963 ging ich nach Europa, besuchte meine Familie und blieb für sechs Monate auf Mallorca, mit meinem damaligen Freund, dem Dichter Christopher Perret. 1964 kehrte ich zurück, beantragte die US-Staatsbürgerschaft und lernte John Sinclair kennen. Er war der Korrespondent des Jazzmagazins Downbeat in Detroit und wusste, dass ich eine Kamera habe. Bei Konzerten machte ich Fotos. Zur selben Zeit habe ich mich dem „Detroit Artists Workshop“ angeschlossen, das war eine Kulturkooperative jenseits des Mainstreams und Treffpunkt für Künstler und Musiker. Wir veranstalteten Konzerte und Ausstellungen, gaben Magazine und Bücher heraus. Es gab auch eine Druckerei und eine Wohnungsgenossenschaft. Alle Beteiligten zehren bis heute von den Erfahrungen, die sie dort gemacht haben.

Wie anders war das Leben damals in Detroit, verglichen mit heute?

Die Stadt hatte fast 2 Millionen Einwohner. Heute leben hier bestenfalls noch 750.000 Menschen. Meiner Empfindung nach war es eine pulsierende Großstadt. Wenn man etwa von der Uni Richtung Innenstadt lief, warteten Buchhandlungen, Plattenläden, Restaurants, das pralle Leben. Ab Mitte der Sechziger verließen die Autofabriken und die Weißen in Scharen die Stadt. Die Minderbemittelten mussten von nun an alles schultern.

Sie haben berühmte afroamerikanische Jazzmusiker wie John Coltrane fotografiert, Vertreter der Avantgarde. 1964 wurde de facto die Segregation abgeschafft. Rassismus war im Alltag noch weitverbreitet.

Wissen Sie, die Jazzszene und der Workshop waren von Anbeginn integriert. Hautfarbe stand nie zur Debatte. Wir hatten alle Malcolm X gelesen. Mein Mann wollte sich den Black Muslims anschließen, aber als Weißer durfte er nicht.

John Sinclair wurde berühmt als Manager der Rockband MC5. Sie waren beteiligt am Durchbruch der Band, haben das Coverfoto des Debütalbums aufgenommen. Woher kam das Protopunkhafte der Band?

Das ist direkt vom Jazz ableitbar. Sie haben Klangelemente des Jazz zu Rock ’n’ Roll transformiert, Aspekte des Energy-Playing, auch die Art, wie sie bei Konzerten konstant in Bewegung blieben. Ästhetisch sowieso: Sänger Rob Tyner hat seinen Künstlernamen von dem Pianisten McCoy Tyner. Alle in der Band hörten Jazz und nannten ihren eigenen Stil Avantrock.

Wenn man an Hippies denkt, assoziiert man Kalifornien. Warum war es in Detroit ganz anders?

Es ging schon damals ums nackte Überleben. Das brachte eine gewisse Härte mit sich und die drang auch in der Musik durch. 1967 gab es wie in anderen US-Städten einen Riot in den schwarzen Vierteln, die Afroamerikaner hatten die ewige rassistische Gewalt satt. Wir wohnten auch da, uns hat die Polizei drangsaliert und schließlich aus Detroit verjagt, wir sind dann in die liberale Universitätsstadt Ann Arbor ausgewichen.

Warum interessierte sich auch der Geheimdienst für Sie?

Na ja, the MC5 wurden langsam berühmt. Sie hatten einen MC, Brother JC Crawford, der den Konzertbesuchern einpeitschte, bis Rob Tyner auf die Bühne kam und „Kick out the Jams, Motherfuckers“ brüllte. So hieß ihr Markenzeichensong und der verstieß gegen die guten Sitten.

Aber es ging auch um Politik?

Wir waren dem Mainstream politisch suspekt. Die Musikszene in Detroit war vor allem gegen den Krieg in Vietnam engagiert. The MC5 haben Solidaritätskonzerte gegeben und sind bei Benefizveranstaltungen aufgetreten.

Die MC5 sind etwa bei den Demonstrationen gegen den Parteitag der Demokraten in Chicago am 25. August 1968 aufgetreten. Waren Sie dabei?

Ich fuhr mit dem Auto zum Parkplatz des Hotels, in dem die Band wohnte. Als ich bemerkte, wie neben mir jemand anhielt und Gewehre aus dem Kofferraum holte, bin ich umgehend wieder nach Detroit zurückgekehrt.

Was hat dann dazu geführt, dass Sie mit anderen 1968 die White Panther Party gegründet haben?

Wir haben uns an Huey P. Newton gehalten, der erklärte, weiße Radikale könnten nicht Teil der Black Panthers werden, sie sollten eine eigene Organisation gründen. Es begann als sarkastischer Witz: The MC5, John Sinclair und ein Haufen weiterer Leute rauchten Joints, dachten nach und handelten. Es galt die vielen Kids, die auf die Konzerte kamen und nichts zu tun hatten, zu organisieren. So ging’s los. Im Ruhrgebiet entstanden übrigens auch White Panthers. Mein Bruder startete eine Ortsgruppe in der DDR, sie nannten sich Progressive Jugend. Die Stasi steckte ihn dafür für mehr als ein Jahr ins Gefängnis.

Die gängige Meinung besagt, die MC5 seien Sexisten gewesen und misogyn. Wie sehen Sie das?

Ja, es hieß, wir Frauen seien Sklaven der Band, müssten kochen und putzen. Bullshit! Wir verfolgten das Prinzip der Arbeitsteilung und nannten uns nach einem Song der Jefferson Airplane „Trans Love Energies“, Männer und Frauen haben gekocht, die Lightshow entworfen, Bühnenklamotten genäht, Poster und Banner designt. Bei den White Panthers waren Frauen sogar oftmals in den Führungspositionen, weil die Männer im Gefängnis saßen.

Das Motto von MC5 war doch „Rock ’n’ Roll, Dope and Fucking in the Streets“. War das Ironie?

Das war Straßenslang für laute Musik, Kiffen und unverkrampften Sex. Es war eine symbolpolitisch und sarkastisch gemeinte Zuspitzung unter dem Eindruck der sexuellen Befreiung. Im Rückblick bedaure ich das Dope. Wir hätten beim Marihuana bleiben sollen. Das ist eine Heilpflanze und keine Droge.

Mit den Drogen ist es bei den MC5 und den befreundeten Stooges bald aus dem Ruder gelaufen.

Wir haben uns bemüht, junge Leute vor harten Drogen zu bewahren. Vergeblich. Ab 1969 ging es den Bach runter, manche haben Heroin genommen, um Ängste zu bekämpfen, Trennungsschmerzen und Enttäuschungen, das war fatal.

Was ist mit John Sinclair passiert?

Mein Mann verbrachte zweieinhalb Jahre im Gefängnis, weil er mit zwei Joints erwischt wurde. Die MC5 haben sich von ihm getrennt. Er kam erst 1971 frei, als sich John Lennon und Yoko Ono für ihn eingesetzt haben. Aber unser Kampf hat sich gelohnt, heute ist Marihuana im Bundesstaat Michigan als Medizin anerkannt.

Und die White Panthers?

1974 änderten wir unseren Namen in Rainbow Party, denn man assoziierte weiß automatisch mit rechts. Mein Bruder wurde in der DDR aufgrund dessen von der Stasi als Rechter eingestuft. Immerhin, nach der Wende wurde er dafür entschädigt und hat sich davon mit seiner Frau eine Reise nach Jamaika gegönnt.

Lebt es sich in Detroit heute besser?

Nein, es hat sich nichts verbessert. Viele Einwohner sind arm und es gibt viel Gewalt. Trotzdem lebe ich hier lieber als irgendwo sonst auf der Welt. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.

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