Aktive Fußgänger: Grüne Phasen an der Kreuzung
Auch die Grünen sind gegen die Blechlawine. Mit einer Protestaktion in der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg fordern sie, dass Berlin endlich beim autofreien Tag der Europäischen Union mitmacht - allerdings mit mäßigem Erfolg
Claudia Hämmerling steht an der Kreuzung Schönhauser Allee Eberswalder Straße und wartet auf Grün. Als die Ampel umspringt, rennt sie mit acht anderen Personen auf die Straße und hält ein Transparent in Richtung der wartenden Autos: "Ganz Europa autofrei - Berlin ist wieder nicht dabei!" Die Grünphase ist kurz, und schnell läuft das Demonstrantengrüppchen wieder von der Straße. "Rot, und weiter!", ruft Hämmerling, und die Gruppe zieht weiter an die nächste Ampel.
"Das ist die einzige Aktion, die in der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen wird", erzählt Hämmerling. Sie ist die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen und führt die Demonstranten in hehrer Mission an: Da die Stadt Berlin sich auch dieses Jahr nicht am europaweiten autofreien Tag beteiligt, wollen die Grünen Berlin heute "zumindest an einigen Stellen autofrei" machen.
Natürlich wollen sie gerne mehr. Doch während viele andere deutsche Innenstädte heute für Autoverkehr gesperrt seien, sei der Antrag der Grünen nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt worden, ärgert sich Hämmerling. "Dabei ist die Verkehrssituation in Berlin besonders krass. Hier werden immer noch Autobahnen gebaut, obwohl der Bedarf ja wohl gedeckt sein müsste. Und für die S-Bahn ist dann kein Geld da." Der Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer wirft sie Ideenarmut vor. Die einzige Aktion zur europäischen Woche der nachhaltigen Mobilität sei eine Fahrradtour mit Journalisten gewesen.
In anderen Städten Europas werden am autofreien Tag bestimmte Bereiche für Fußgänger und Radfahrer freigehalten. Deutsche Städte wie München, Frankfurt oder Ulm bieten außerdem Gratisfahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr an. Der Fahrer eines Autos mit Münchner Kennzeichen kriegt von den Demonstrantinnen auch gleich den "Daumen hoch": "Ja, München, macht mit beim autofreien Tag", rufen sie ihm fröhlich zu. Der Autofahrer lacht, winkt zurück und wartet auf Grün, um seine Fahrt fortzusetzen.
Ein Taxifahrer, der sich den Transparentspruch durchliest, schüttelt den Kopf und zeigt den Demonstranten den Vogel. Eine, die mehr Verständnis für die Aktion hat, ist Verena Toussaint, die sich mit ihren drei Kindern angeschlossen hat, weil "gerade diese Kreuzung unheimlich nervt. Die Autofahrer dominieren komplett, für Fußgänger und Radfahrer ist es schwer, über die Kreuzung zu kommen. Die Grünphasen sind so kurz, dass es ärgerlich ist", erzählt sie.
Von der Straße abgehalten wird hier kein einziges Auto - schließlich wurde die "Besetzung" der Schönhauser Allee auch auf dem Infoblatt schon vorsorglich in Anführungszeichen gesetzt. Immerhin: Die Sonne scheint, die Stimmung ist gut, und die maue Beteiligung wird mit Humor genommen: "Es muss ja nicht immer alles militant sein", scherzen sie.
Während sich Hämmerling auf den Weg macht, um die S-Bahn zum nächsten Termin zu kriegen, zieht der Rest der Gruppe weiter zur Gneiststraße, wo ein Straßenfrühstück an Stehtischen mit Kaffee und Brötchen vorbereitet wurde. Der grüne Abgeordnete Andreas Otto greift zum Mikrofon: "Für alle, die sich noch wundern, was hier los ist: Wir wollen zeigen, wie man die Straße auch anders nutzen kann." All zu viele wundern sich wohl nicht, denn von den Anwohnern sind an diesem Samstagmorgen noch nicht viele auf der Straße zu sehen. Als ein Autofahrer in die Straße einbiegen will, weist ein freundlicher Polizist ihn ab. Die Geiststraße ist an diesem Morgen für Autos gesperrt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!