Aktionstage Rußlanddeutsche: Fremd in Bremen
■ Werte und Normen von Aussiedlern
In Tenever gibt es nicht nur russische Lebensmittel zu kaufen. Die Videothek bietet auch Videos in Russisch an. Kein Wunder, denn hier wohnt ein Großteil der schätzungsweise 16.000 in Bremen lebenden Aussiedler. Kinder aus Aussiedlerfamilien machen hier ein Drittel bis die Hälfte eines Schuljahrgangs aus. Nicht allein die Sprachprobleme sorgen für das Fremdheitsgefühl dieser Familien in der neuen Heimat. Während in der alten Heimat, der ehemaligen Sowjetunion, Werte wie Familie und Religion einen hohen Stellenwert besaßen, steht in der BRD die Individualität an erster Stelle.
Am Donnerstag vergangener Woche wollte man sich diesen Unterschieden annähern. „Normen und Wertesystem der Rußlanddeutschen“lautete der Titel einer Veranstaltung aus der Reihe der „Aktionstage Rußlanddeutsche in Bremen“. Anders als bei uns, so die Vortragende Heike Roll vom Osteuropa-Institut in München, muß in der Sowjetunion die Familie in Notlagen noch einspringen. Insbesondere die Jugendlichen geraten in einen Loyalitätsdruck zwischen konservativen hierarchischen Familienstrukturen und unseren Selbsterfahrungswerten. Alkoholismus und Gangbildung, um das Selbstwertgefühl aufzumöbeln, sind die Antwort. Konflikte zwischen türkischen und rußlanddeutschen Jugendlichen wie letzten Sommer in Kattenturm sind nur ein Beispiel für diese Orientierungslosigkeit.
Ein weiterer Grund für die anders erlebten Werte der Rußlanddeutschen: Das Trauma der stalinistischen Deportation aus den angestammten deutschen Siedlungen in Rußland habe die Familien enger zusammengeschweißt. War im 18. Jahrhundert die Abgrenzung von den Russen eine Siedlungsbedingung Katharinas der Großen für die Deutschen, so mußten sie nun in den Wäldern Sibiriens um ihre kulturelle Identität ringen. Der Religionsunterricht im kleinen Kreis war das, was blieb.
Doch was tun, um das Außenseiterdasein der Aussiedlerfamilien zu beenden? Interkulturelle Pädagogik, am russischen Erfahrungshintergrund dieser Familien anknüpfen, war der Vorschlag von Heike Roll. Die Reihe „Aktionstage Rußlanddeutsche in Bremen“läuft noch bis Ende der Woche.
Christiane Pohlmann
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen