Aktionsrat Bildung will Kernabitur: Diese Löwen wollen nur spielen
Eigentlich eine gute Idee. Der Aktionsrat Bildung schlägt ein Abitur für alle in Deutsch, Mathematik und Englisch vor. Aber keine Sorge, das wird nicht kommen.
Was haben sie nicht alles vorgeschlagen! Dieter Lenzen, visionärer Erziehungswissenschaftler, hat mit seinen Kollegen vom "Aktionsrat Bildung" schon die halbe Bildungsrepublik umgekrempelt. Er führte den Schulbesuch ab vier ein, er prägte die Formel "Bildung neu denken!".
Jetzt hat Lenzen ein Kernabi für Deutschland vorgeschlagen, um das jahrhundertealte Prunkstück aufzupolieren. Aber keine Sorge, Lenzens Vorschlag wird nicht kommen. Denn die utopischen Revolutionen des Aktionsrats finden nur im Geiste statt.
Der Aktionsrat ist so etwas wie der Rat der Bildungsweisen für die bayerische Wirtschaft. Seiner neuen Idee soll alles auf einmal glücken: Vergleichbarkeit schaffen, Gerechtigkeit herstellen, Qualität sichern und das Abitur wieder zu einem Ereignis machen. Für die Kernfächer Deutsch, Mathematik und Englisch wollen die Räte gemeinsame Standards, der Rest des Abis bliebe Ländersache. Wenn alles glatt läuft, kommt das Kernabi - im Jahr 2018. Visionen dauern, auch die des Aktionsrats.
Dabei ist der "Aktionsrat Bildung" ein starkes Stück. Hinter ihm steht nicht nur die geballte Intelligenz der Pisa-Forscher wie Manfred Prenzel, dort bringen entschiedene Reformer wie Dieter Lenzen ihr Know-how ein. Aber so wirksam wie Lenzen als Uni-Präsident war, als Bildungsberater des vbw besteht sein Job darin, kreativ zu denken - und nichts zu unternehmen.
Der Aktionsrat Bildung ist ein Kind der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Der vbw bündelt Unternehmen der potentesten deutschen Region, die viele Hundert Milliarden Euro schwer ist und ein gefräßiges Maul für Nachwuchskräfte aller Art hat.
Ulkigerweise ist der Aktionsrat aber genau auf diesem Gebiet völlig machtlos. Weil die hochgebildeten Gutachter unabhängig sind. Vor allem aber, weil ein gewisser Bertram Brossardt kein Interesse daran hat, Lenzens Ideen umzusetzen. Brossardt ist der Geschäftsführer des vbw, er war - ein Symbol - auch am Mittwoch nicht bei der Vorstellung des Kernabis im feinen Münchener Hotel.
Importierte bulgarische Azubis
Quasi immer, wenn Lenzen etwas vorschlägt, kommt Brossardt und sagt das Gegenteil. Der Aktionsrat etwa empfahl einst, die kompliziert gegliederte Schule zugunsten einer zweispurigen Straße zum Abitur zu vereinfachen. "Die bayerische Wirtschaft braucht auch in Zukunft gute Hauptschüler", lehnt Brossardt barsch ab.
Und wenn der Aktionsrat zusammen mit der Prognos AG nachweist, dass allein in Bayern bald eine Million Hochqualifizierte und 1,3 Millionen Facharbeiter fehlen und man deswegen fix bei der Schulstrukur umsteuern muss, dann sagt Brossardt matt: "Der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft geht es nicht um die Frage der Struktur der Gliedrigkeit unseres Schulsystems."
Das ist, alle wissen das, die Chiffre für: No, we can't!
Brossardt und Lenzen, das sind zwei Universen. Hier der Wirtschaftsboss, der durch die bayerische Ministerialbeamtenschule gegangen ist. Er kennt nur die bayerisch-preußische Methode der ständegerechten Schule. Dort die visionäre Truppe mit jungen Leuten wie Ludger Wößmann, die auf ein anderes, kompetenzorientiertes Lernen setzen und die genau wissen: Eine Risikoschülerproduktion zwischen 20 Prozent (deutscher Durchschnitt) bis zu 60, 70, 80 Prozent (so hoch ist die Quote an manchen Hauptschulen) ist eine Katastrophe für eine Exportnation. Für das, was Lenzen und Co. aufschreiben, stellt Brossardt jedes Jahr 350.000 Euro aus - nur, er wendet es nicht an.
Was der Aktionsrat theoretisch vorhersagte, ist nun in Deggendorf Realität geworden: Ausgerechnet der Dauer-Pisa-Sieger kann dort nicht mehr genug qualifizierte Schulabgänger zur Verfügung stellen. Die Deggendorfer Hauptschulen werfen zu viele Bildungsverlierer aus, um 700 freie Lehrstellen besetzen zu können. Daher greifen die Deggendorfer Unternehmen samt CSU-Landrat zur Notmaßnahme: Sie importieren Azubis aus ihrer bulgarischen Partnerstadt.
Auf dieses Risiko hat der Aktionsrat Bildung mehrfach hingewiesen. "Ich habe alle diese Studien gelesen, als lohnend empfunden und in die Entscheidungsfindung der Verbände eingebracht", sagt Bertram Brossardt. "Bei uns in der Organisation entscheiden aber die Gremien. Die Hauptschule ist eine Schule mit Potenzial."
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