■ Aktion zur Verbesserung von Zeitungstitelseiten: Stärkt den Weckfaktor – jetzt!
Nicht selten geschieht es, daß man den Tag mit Zeitungslektüre beginnt und bitter enttäuscht wird; denn die zur frühen Stunde unternommene Exegese von Schriftlichem, von Text, sie konzentriert sich stets oder wenigstens zumeist auf die großgeschriebenen Sachen; das heißt: auf die größer als der Rest gedruckten Passagen, das fette Zeug oben drüber, auf Überschriften und Untertitel, selten zusätzlich auf Bildlegenden; denn gegen sieben oder halb zwölf scheint der Mensch noch nicht in der Lage zu sein, sich den zerebralen Kapazitäten seiner Gattung gemäß zu konzentrieren, zu interessieren für Themen wie Weltraumforschung, Bananenpreise und Sicherheitsvorschriften; und um überhaupt die mahlende Mühle oben im Kopf richtig ans Laufen zu bringen, rezipiert er ausschließlich Überschriften, nicht aber den eigentlichen informationsübermittelnden Artikel.
Was ich sagen will: Morgendliches Zeitungslesen dient nicht mehr und nicht weniger als der rituell-bedächtigen Ankurbelung von Verstandeskapazitäten, dem initiatorischen Buchstabeneinsaugen, damit der Ballon langsam, slow, but garantiert auf Betriebstemperatur kommt. Sonst kannste die folgenden Stunden nämlich haken bzw. harken. Doch weil die Welt schlecht eingerichtet wurde, demonstrieren zirka 95 Prozent aller Überschriften uninspirierte Zähbrockigkeit und legen Zeugnis ab von redaktioneller Nachlässigkeit, Lustlosigkeit und jenem infamen Geist, Kunden schlicht quälen zu wollen; mit Sentenzen („Lines“), die wie Hammerschläge das gefrorene Eis in uns zertrümmern sollen und doch bloß Verdruß bereiten, etwa: „Schröder macht dem Tanker Tempo“ oder „Risikogesellschaft, ja bitte!“ Bis hin zu „Kohl im Wahlkampf“. Da ist der Tag gelaufen.
Ich möchte deshalb sämtliche noch nicht gänzlich verkommenen Redakteure dieser Republik nachdrücklich bitten, ihre Überschriften zu verbessern. Darüber hinaus rufe ich eine Aktion zur Anhebung der Schlagzeilenkultur ins Leben. Erstmals im Juni soll von einem Gremium unabhängiger Journalisten die beste Überschrift des Monats gekürt werden. Alle teilnehmenden Zeitungen und Zeitschriften drucken die gekürte Kopflinie zur Belehrung und als Ausdruck vorbildlicher Überschriftenarbeit geschlossen noch einmal ab. Bewertungskriterien: Weckfaktor, Aufmerksamkeitserheischungsquote, Nährwert, semantisch-semiotischer Witz und Haltbarkeit der Textzeile. Über Preise und Prämien muß man noch nachdenken.
Als leuchtendes Beispiel schreitet schon heute eine Überschriftengroßtat der Bild am Sonntag vom 4. Mai 1997 dieses Jahres voran, ein irisierendes Exempel von kosmonautischer Qualität: „Achtung, Hühner! Die jungen Füchse sind da“. So geht es doch auch, oder?
Bedauerlicherweise erschien jene zu meiner und vieler anderer Menschen ausladenden Freude extraordinäre Headline an einem Tag, an dem man Printerzeugnisse und Zeitungslektüre weder privatmythologisch noch gehirnphysiologisch, noch politologisch begrüßen kann. Sondern viel lieber ignorierte und bleiben ließ, weil es eigentlich ganz schön wäre, hielte die Öffentlichkeit wenigstens einmal pro Woche ihre klappernde Goschn.
Sonntagszeitungen müssen also draußen bleiben. Alle anderen aber sind hoffentlich schon bei ihrer morgigen Ausgabe volle Kraft voraus mit dabei und senden uns ihre verbesserten Überschriften hinterher zu. Eine Vorauswahl veröffentlichen wir demnächst an dieser Stelle, die Bekanntgabe des Juni-Gewinners erfolgt in der ersten Juliwoche. Jürgen Roth
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