Aktion gegen das Finanzsystem: Auch Cantona ging nicht zur Bank
Der Appell des Ex-Fußballprofis, am 7. Dezember alle Konten leerzuräumen, wurde europaweit diskutiert und fand Sympathie. Doch selbst er ließ dann sein Geld unangetastet.
PARIS taz | Die Banken sind also noch einmal glimpflich davon gekommen. Das Finanzsystem ist bisher nicht in sich zusammengebrochen. Die „Revolution ohne Gewalt und ohne Blutvergießen“, die der Ex-Fußballprofi Eric Cantona für den 7. Dezember angesagt hatte, fand nicht statt.
Wie ein Don Quichotte aus der Fußballwelt hat er mit ehrlicher Empörung gegen Windmühlen gekämpft. Dennoch wäre es etwas leichtfertig, nun herablassend oder spöttisch den "Cash Day" zum "Nicht-Ereignis" abzustempeln. Denn erstens hat Cantona den Banken, die nach der schweren Krise zumeist mit einer provozierenden Arroganz zum "Business as usual" mit den alten Gewohnheiten und Risiken zurückgekehrt sind, doch einen Schrecken eingejagt.
Und zweitens war der Aufruf an die Bankkunden, an diesem Dienstag alle Geldeinlagen am Schalter zurückzuverlangen, um das System hochgehen zu lassen, ein enormer Publikumserfolg auf dem Internet. Und letztlich hat Cantona, wie dies Wirtschaftsexperten bestätigten, eine reelle Schwachstelle des Finanzsystems aufgezeigt.
Wenn nämlich wirklich alle oder zumindest 20 Millionen, wie dies der Revolutionär Cantona forderte, gleichzeitig ihr Geld abheben würden, gäbe es zweifellos Liquiditätsprobleme und die Banken müssten entweder schließen oder die Bezüge begrenzen. Das darüber wieder einmal ernsthaft diskutiert wird, ist das Verdienst von "King Eric", der in der französischen Presse in "Eric le Rouge" umgetauft oder als neuer "Robin Hood" tituliert wurde.
Für den revolutionären Appell hat sich Cantona seiner enormen Popularität bedient, die aus seiner Zeit als Stürmer beim englischen Premier League-Verein Manchester United herrührt. Seitdem er seine Stollenschuhe an den Nagel gehängt hat, betätigt er sich aber auch mit Erfolg als Filmschauspieler, beispielsweise in Ken Loachs Film "Looking for Eric", in dem er sich selbst spielt. Auch zurzeit steht er wieder vor der Kamera. Darum sei er auch gegenwärtig nicht für Interviews abkömmlich, ließ er mitteilen.
Unklar ist noch, wie viele von Cantonas Anhängern wirklich ihr Konto geleert haben. Zahlen liegen dazu keine vor. Und die Pressestellen der Geldinstitute wollen auch nicht bestätigen, ob sie nicht doch vielleicht ihren Zweigstellen vorsichtshalber etwas mehr Bares für einen eventuellen Überlebenstest zur Verfügung gestellt haben. Bei den Großbanken Société Générale und BNP-Paribas versicherte man, es seien "keine speziellen Vorkehrungen" getroffen worden. Die Bargeldbezüge am Schalter seien ohnehin auf 1.500 Euro begrenzt, und wer mehr abheben wolle, müsse das vorher anmelden.
Cantona jedenfalls wollte sich selbst zur Bank begeben und hatte bei einer Filiale der Banque Nationale Paris in Albert im Départment Somme angekündigt, mehr als 1.500 Euro abheben zu wollen. Spötter bemerkten, dass er dort schon mit mehreren Koffern auftauchen müsse, um sein bei Manchester United erkicktes Vermögen mit nach Hause zu nehmen. Allerdings warteten dann rund zwanzig Journalisten vergeblich vor der Bank auf den Ex-Fußballprofi. Bis 18 Uhr, als das Geldinstitut seine Rolladen wieder runterließ, hatte sich Cantona dort nicht blicken lassen.
Sein Appell, die Banken hochgehen zu lassen, hatte ihn vehement ins internationale Rampenlicht zurückgebracht. Neben WikiLeaks war "Canto" in den Medien der meisten europäischen Ländern das meistbeachtete Thema. Mehrere auf Facebook gebildete Netzwerkgruppen fanden rasch Zehntausende von Mitgliedern. Wie so manche davon fand auch Userin Malika die Idee bestechend: "Ich wäre dafür - das Problem ist nur, dass ich schon pleite bin."
Der "rote Briefträger" Olivier Besancenot von der Neuen Antikapitalistischen Partei NPA äußerte sich amüsiert darüber, dass offenbar so viele Leute "Lust auf Revolution" haben. Um das System zu stürzen, brauche es aber wohl etwas mehr, meinte er. Vertreter der Bankiervereinigung und auch der französische Haushaltsminister François Baroin fanden Cantonas Appell weit weniger lustig: "Das ist zum Lachen, wenn es nicht so tragisch wäre."
Und der Vorsitzende der Euro-Gruppe, der Luxemburger Jean-Claude Juncker, warnte vor einer "völlig verantwortungslosen Aktion". EU-Finanz- und Wirtschaftskommissar Olli Rehn wollte für Cantona die "rote Karte" zücken, als Fan des Ex-Stars von Manchester United meinte er aber nachsichtig, von Fußball verstehe Cantona mehr als von der Wirtschaft.
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