piwik no script img

Akademische GhostwriterPfusch in der Grauzone

Ein akademischer Ghostwriter berichtet: Für Geld schreibt er wissenschaftliche Arbeiten. Die Täuschungen nachzuweisen, ist kaum möglich

Dieter schreibt gerade seine sechste Abschlussarbeit. Akademischen Titel hat er einen. Dieters Werke erscheinen nicht unter seinem Namen. Er ist akademischer Ghostwriter.

Für Geld schreibt er fast alles, von der Bachelor- bis zur Diplomarbeit. "Alles, wo es keine Formeln gibt", umschreibt er sein Themengebiet. Ursprünglich arbeitete der Germanist und Historiker als Lektor für wissenschaftliche Arbeiten. Der Übergang vom Korrigieren zum Ghostwriting sei fließend gewesen. Wie schreibt man überhaupt eine wissenschaftliche Arbeit? Braucht man tatsächlich eine Fragestellung? Fragen wie diese hätten sich gehäuft. "Dann rutscht man so rein", sagt Dieter. Und überarbeitet beim Korrigieren irgendwann ganze Kapitel. Der erste "richtige Auftrag", wie er sagt, wurde ihm vor vier Jahren aus dem Bekanntenkreis vermittelt. Sechs Wochen vor Abgabetermin übernahm er die Arbeit. Da war noch keine Seite geschrieben.

Seitdem hat der 40-Jährige fünf Aufträge erhalten. Alle von Studierenden der Bremer Hochschulen, vornehmlich der Geisteswissenschaften wie Kulturwissenschaften, Kunstästhetik oder Psychologie.

Zwischen 2.000 und 2.500 Euro nimmt er pro Arbeit. Zwei bis drei Monate schreibt er an einem Auftrag. Allerdings: "Eigentlich komme ich damit auf keinen gescheiten Stundenlohn", sagt er. Seine Konkurrenz findet sich vornehmlich im Internet. Und die nimmt mehr: Zwischen 3.000 und 6.000 Euro kosten dort Diplom-, Master- und Magisterarbeiten. Dissertationen noch mehr.

Rechtlich bewegen sich Ghostwriter wie Dieter in einer Grauzone. Die Anbieter nennen sich Consulting-Agenturen, Wissenschafts- oder Textberatungen. Neutrale Begriffe für das Geschäft ums Fremdschreiben. Nicht selten verweisen die Anbieter auf einen Stamm von 20 AutorInnen. Alle selbstverständlich mit ehrlich erworbenem akademischem Grad. Die erstellen so genannte "Musterarbeiten". Die Werke dürfen nicht unter eigenem Namen abgeben werden. Wer sie verwendet, muss sie zitieren - wie andere Quellen auch. Das ist der juristische Dreh, mit dem sich die Ghostwriter aus der Verantwortung ziehen. Die Anbieter liefern den vollen Service: Von der Themen- und Literatursuche bis zum fertigen Werk.

Dieter geht es nicht nur ums Geschäft. Sondern um eine "diffuse politischen Sache". Er sieht sich als Retter, Helfer. Alle seine Zöglinge kämen aus einer "individuellen Notlage" zu ihm. Meist aus Zeitnot. "Viele", sagt Dieter, "sind gar nicht in der Lage, 60 Seiten einfach so runterzuschreiben." Mit den Bachelor- und Masterstudiengängen sei der Druck auf die Studierenden gestiegen. Wissenschaftliches Schreiben würde ihnen kaum beigebracht. Da sieht sich Dieter als "kleinen Stachel gegen die Selektionsmechanismen an den Unis", wie er sagt. Er nehme den Druck, den die Unis erzeugen.

Schließlich seien seine KundInnen allesamt "handlungsfähig", hätten konkrete Vorstellungen von ihrer beruflichen Zukunft. "Für viele ist die Abschlussarbeit eine letzte Hürde, die sie überwinden müssen", sagt Dieter. "Identitär verbunden sind sie mit den Arbeiten nicht, das ist eine reine Pflicht."

Ein ungefähres Thema und eine Literaturliste, das erwartet Dieter von seinen Kunden. "So abgefuckt, dass ich auch ohne Anfrage eine Liste an möglichen Themen vorbereite, bin ich nicht", sagt er. Dennoch gibt es klare Regeln: Dieter garantiert für das Bestehen, nicht für eine bestimmte Note. Die Hälfte des Honorars bekommt er nach der Hälfte der Arbeit. Ansonsten verlangt er weitgehend freie Hand.

Nur ein Mal gab es bislang Probleme. Auch beim Bezahlen. Da war jemand unzufrieden, mit der Arbeit, die Dieter ablieferte. Nachdem er drohte, die Uni zu informieren, bekam er das Geld schließlich doch.

Dabei ist es unwahrscheinlich, dass der Schwindel auffliegt. Die Bremer Hochschulen etwa ahnden Ghostwriting wie andere Täuschungen auch mit einem "Nicht bestanden". Bei mehrfacher oder besonders schwerwiegender Täuschung sehe das Hochschulgesetz die Exmatrikulation vor, erklärt die Uni-Justiziarin Petra Banik. Genaue Zahlen zum Ghostwriting gibt es nicht. Die Prüfungsämter erfassen zwar die nicht bestandenen Arbeiten - aber nicht, aus welchen Grund jemand durchgefallen ist.

Clemens Bonnen, Konrektor für Lehre und Forschung an der Hochschule Bremen, spricht von Einzelfällen im "Promillebereich". Es gebe Studierende, "bei denen man etwas ahnt, aber nichts zu belegen ist". Denn Ghostwriting sei für die PrüferInnen ein "schwieriger Fall".

Anders als beim Plagiieren, dem Abschreiben von fremden Werken, würden beim Ghostwriting Originale eingereicht. Um diese Täuschung aufzudecken, "müssen wir uns auf auf die Kompetenz der Lehrenden bei der Einschätzung der Leistungen ihrer Studenten verlassen", sagt Bonnen. Er selbst sei bei einigen Prüflingen "verwundert" gewesen: Im Studium stets schwach, hätten sie in der Abschlussarbeit versiert Themen aufgegriffen, die vorher nie behandelt wurden. Im Verdachtsfall bliebe einzig die Möglichkeit, mit gezielten Fragen zum Prüfungsthema und zur Argumentation der Arbeit nachzuforschen. Wer dabei nicht auffliegt, kommt mit dem fremden Werk durch. "Aber erstmal", sagt Bonnen, "unterstelle ich meinen Studenten immer, dass sie ordentlich arbeiten."

Dieter ist sich der Hilfslosigkeit der PrüferInnen bewusst. Er rät seinen KundInnen, ihre Abschlussarbeiten bei DozentInnen zu schreiben, die ihren Stil nicht kennen. Und er bereitet sie auf ihre mündlichen Prüfungen vor. Bisher hat es immer geklappt. Er selbst fühlt sich weitgehend sicher. Dennoch gehe es bei neuen Aufträgen immer auch um die Frage, "wie legal ich mich fühle". Einige Aufträge sind deshalb nicht zustande gekommen. "Da hatte ich so ein Unwohlgefühl", sagt Dieter. "Und hab mich gefragt, was ich da eigentlich mache."

Dass seine KundInnen schlichtweg keine Lust auf ihre Abschlussarbeiten haben könnten, glaubt er nicht. Alle hätten in der Zeit, in denen er für sie geschrieben hat, wichtiges gemacht: Praktika, Auslandsaufenthalte, Projekte. Oder sie litten unter Prüfungsangst. "Manche halten es innerlich kaum aus, einerseits einen guten Ruf bei den Dozenten zu haben und andererseits schon bei kleinen Hausarbeiten den größten Stress zu haben", sagt Dieter.

Ein "theoretischer Gedanke" ist für ihn die Frage, ob er auch für Menschen schreiben würde, die sich einen Ghostwriter einfach leisten können. Im Grunde genommen, sagt er, müsse reichen Kindern absagen. Da hätte er "kulturelle Bedenken". Bislang gab es den Fall nicht. Noch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • A
    Adventura

    Dem Text hätte ein anständiges Korrektorat auch nicht geschadet. Aber Hauptsache selbst verfasst, ne?