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■ Akademie der Künste verpaßte Chance für NeuanfangWohlabgewogene Untätigkeit

Wie zu befürchten war, hat die Akademie der Künste (AdK) am Wochenende mit der Wiederwahl von Walter Jens kein Zeichen für einen Neuanfang gesetzt. Während der Verband der Schriftsteller (VS) mit Erich Loest einen früheren DDR-Dissidenten zum Vorsitzenden wählte und damit Neuanfang, Aufarbeitung und auch posthume Rehabilitation für Ingeborg Drewitz demonstrierte – sie war seinerzeit allein wegen ihrer Solidarität für Solidarność als VS- Vorsitzende nicht wählbar –, blieb bei der AdK alles beim alten: Trotz der Zuwahl neuer Mitglieder ist der neue Präsident auch der alte, und von den dreißig ausgetretenen früheren DDR-Dissidenten ist keiner zurückgekehrt. Der Ehrenrat, als Allheilmittel gegen den Vorwurf „Schlupfbude für Stasis“ (Sarah Kirsch) gegründet, wurde in keinem Fall tätig. Dazu Walter Jens: „Bis jetzt hatte der Ehrenrat noch keinen Grund, aktiv zu werden. Es gibt zwar Vorwürfe, aber keine substantiell belegbaren Hinweise, die den Ehrenrat zu einem zugleich wohlabgewogenen und entschiedenen Vorgehen veranlassen könnte.“

Eine Überprüfung durch die Gauck-Behörde, die allein die Vorwürfe gegenüber Heiner Müller, Juri Brezan u.a. aufklären könnte, wurde von der AdK als „unzumutbar“ zurückgewiesen. Heiner Müller schweigt zu seinen Stasi-Kontakten. Juri Brezan, langjähriger Stellvertreter von Hermann Kant, sieht kein Problem darin, daß er früher Honecker in Sachen Kunst beraten hat und das jetzt für die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg tun wird.

Daß die Gauck-Behörde auch Vorwürfe widerlegen könnte, beweist das Beispiel des Schriftstellers Klaus Schlesinger. Nach Einsicht in die Gauck-Unterlagen war der IM-Vorwurf sofort entkräftet. Aber Akademie-Mitglieder sollen nach Ansicht von Jens nicht überprüft werden! Offensichtlich ist die Angst vor den Akten so groß, daß man es vorzieht, den allgemeinen Vorwurf im Raum stehenzulassen.

Als am 2.9.93 nach kontroverser Diskussion das Abgeordnetenhaus von Berlin grünes Licht für die En-bloc-Zuwahl gab, geschah das in der Überzeugung, daß durch die Arbeit des Ehrenrates den inzwischen ausgetretenen Mitgliedern und ehemaligen Dissidenten die Rückkehr ermöglicht werde. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt.

Die AdK hätte nach ihrer Quasi-Fusion von Ost- und West-Akademie sehr viel aufzuarbeiten. Wir wissen, daß die personelle Zusammensetzung der AdK (Ost) vom ZK der SED diktiert und kontrolliert worden war. Sie war keine unabhängige Institution, sondern eine Kulturkampfgruppe der SED. Eine über Jahrzehnte unter dem Diktat der SED zusammengesetzte Akademie bleibt aber in ihrem Charakter auch dann erhalten, wenn sie zahlenmäßig um die Hälfte reduziert wird. Wie wenig sich das Denken der Mitglieder geändert hatte, zeigte ihre Weigerung, Wolf Biermann 1991 (!) in die Akademie aufzunehmen.

Aber nicht nur in der AdK (Ost), auch in der AdK (West) ist Vergangenheit aufzuarbeiten. Walter Jens glaubt, das „objektiv“ leisten zu können. „Wenn ich nicht die Sicherheit hätte, die Akademie-Geschichte objektiv darstellen zu können, würde ich mich der Aufgabe nicht stellen“ (taz v. 26.5.94). Selbstverständlich haben Betroffene das Recht, ihre Sicht der Dinge zu beschreiben. Nur sind das immer subjektive Geschichten. Wer noch nicht einmal die Befangenheit der Subjektivität erkennt, ist mit der objektiven Beschreibung am Ende, noch bevor er begonnen hat.

Die Wiederwahl von Walter Jens beweist zum einen die geringe Erneuerungsbereitschaft. Sie macht aber zum anderen auch deutlich, daß unter den Akademiemitgliedern kein Erich Loest zu finden ist. Günter Kunert, Sarah Kirsch und Ralph Giordano beispielsweise stehen in der fusionierten Akademie nicht zur Verfügung. Michael Cramer

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