Ajax Amsterdam in der Königsklasse: Viele Fragezeichen

Ajax Amsterdam begeistert erneut in der Champions League. Wäre da nur nicht die Affäre um einen sexuell übergriffigen Ex-Sportdirektor.

Antony und David Neres rempeln sich beim Jubelsprung

Gute Stimmung von früher: Antony und David Neres feiern einen Treffer gegen Sporting Lissabon Foto: Piroschka Van De Wouw/reuters

AMSTERDAM taz | Die Winterpause scheint in diesem Jahr besonders lang gewesen zu sein. Zumindest vom Südosten Amsterdams aus betrachtet, wo auf dem Trainingsgelände De Toekomst (Die Zukunft) das Herz von Ajax Amsterdam schlägt. Zwar rollt der Ball hier bereits seit Mitte Januar wieder, und mit fünf Siegen in fünf Spielen ist Ajax überaus erfolgreich. Doch die Stimmung, die hier vor der Pause herrschte, wirkt wie von den jüngsten Stürmen weggeblasen. Die Euphorie, die im Herbst um den Club herrschte, scheint vor dem Champions-League-Duell am Mittwoch bei Benfica Lissabon zu einer anderen, weit entfernten Saison zu gehören.

Anders wurde alles Anfang Februar mit einer Presseerklärung. „Fußball-Direktor Marc Overmars verlässt Ajax mit sofortiger Wirkung“, hieß es darin. „Basis seines Entschlusses ist das Verschicken grenzüberschreitender Berichte an mehrere Kolleginnen über einen längeren Zeitraum.“ Overmars, als Flügelstürmer Teil des großen Ajax-Teams der 1990er und seit 2012 im Amt, war sich laut des Berichts nicht über sein Verhalten bewusst, bis der Club ihn damit konfrontierte. Nun schäme er sich „kaputt“, entschuldige sich und sehen keine andere Möglichkeit, als zurückzutreten.

Einen Tag später machte das NRC Handelsblad Details bekannt: Anonyme Aussagen von elf aktuellen und ehemaligen Ajax-Mitarbeiterinnen lassen ein Bild entstehen, wonach Overmars gewohnheitsmäßig Frauen mit sexuellen Whatsapp-Nachrichten belästigt hat. Eine von ihnen empfing mehrere dick pics von ihm. Die Zeitung folgert, bei Ajax herrsche „eine Kultur, in der sexuelles Fehlverhalten gedeihen kann“, die Atmosphäre nicht offen genug sei, um Machtmissbrauch anzusprechen, auf Anzeichen sexueller Belästigung werde nicht eingegangen. „Wenn du als Frau keine dicke Haut hast bei Ajax, wird es schwierig“, so eine Betroffene. Eine andere: „Sexismus steckt in der Kultur des Clubs.“

Die Schwere dieser Beschuldigungen erklärt, warum Edwin van der Sar, der Allgemeine Direktor des Clubs und mit Overmars das Gesicht der wiedererstarkten Legende Ajax, seither angeschlagen wie nie zuvor wirkt. Es geht hier um Strukturen, die weiter und tiefer reichen als die latente, geradezu grotesk unreflektierte Übergriffigkeit seines Kollegen. Dass der Aufsichtsrat nach jüngsten Berichten über Overmars’ Verhalten unterrichtet war und sein Vertrag dennoch verlängert wurde, scheint ins Bild der NRC-Recherche zu passen.

Erst fünf Gegentore

Wenig überraschend, dass das, was auf dem Platz geschieht, bei Ajax derzeit zweitrangig ist. Der Fall Overmars findet weit mehr Beachtung als die jüngste Siegesserie in der Ehrendivision. Vor der Winterpause lag man noch einen Punkt hinter der PSV Eindhoven, inzwischen aber hat man fünf Zähler Vorsprung. Eine Torbilanz von plus 65 und zudem eine starke Abwehr, die in bislang 23 Saisonspielen erst fünf Treffer zuließ. „Die ultra-verlässlichen Bewacher von Fort Ajax“ nennt das Fachblatt Voetbal International das Bollwerk um Lisandro Martínez und Jurrïen Timber.

In der Champions League gewannen außer Ajax nur Bayern und Liverpool alle sechs Gruppenspiele. Vor allem Sébastien Haller mit zehn Toren und der brasilianische Außenstürmer Antony spielten so auf, dass der große Wurf, das 2019 noch haarscharf verpasste Finale, diesmal möglich erscheint. Als himmelsstürmende Außenseiter wurde Ajax in den letzten Jahren zum Lieblingsteam neutraler Fans. Inzwischen hat es genügend Substanz gewonnen, um als Geheimfavorit auf den Henkelpott zu gelten.

Mit dem Weggang von Overmars tauchen indes viele Fragezeichen auf. Gemunkelt wird, dass der mit ihm befreundete Coach Erik ten Hag an Abschied denke. An Mittelfeldspieler Ryan Gravenberch baggert Bayern München, Antony steht auf dem Zettel mehrerer Premier-League-Clubs. Unterdessen sucht man bei Ajax nach einem neuen Fußball-Direktor, der in Zeiten sinkender Budgets die Nachfolge des wegen seiner Transfer-Politik gerühmten Overmars antreten kann. In einer derart unruhigen Situation fällt es kaum auf, dass Kapitän Dusan Tadić behauptet: „In den letzten Jahren habe ich kein Team gesehen, das besser arbeitet als wir.“

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