piwik no script img

Aidskranke gehören nicht in den Knast

■ Italien diskutiert Strafrechtsreform

Rom (taz) – Ratlosigkeit über die Behandlung aidskranker Häftlinge in Italiens Gefängnissen: Nach einer ganzen Reihe von Geiselnahmen von Anstaltspersonal durch Aidskranke, nach Berichten auch über skandalös inhumane Behandlung Kranker, wollen die zuständigen Minister mit einer Novellierung des Strafprozeßrechts eine Sonderbehandlung der Betroffenen einführen.

Grundgedanke, so Justizminister Filippo Mancuso, ist das Argument, daß das Recht auf gesundheitliche Unversehrtheit auch für Strafgefangene gelte und somit lebensgefährlich Erkrankte „grundsätzlich nicht ins Gefängnis gehören“. Das Innenministerium, dem das Gefängnispersonal untersteht, steuert dazu den Gedanken einer „erhöhten Sicherheit der Beamten und Beamtinnen in den Strafvollzugsanstalten“ bei. Aber hier hört die Einigkeit auch schon auf.

Tatsächlich nämlich gab es in Italien bereits vor drei Jahren Gesetzesänderungen für Aids- kranke: Wer an der Immunschwäche leidet, sollte unverzüglich entlassen werden, gleichgültig ob rechtskräftig verurteilt oder in U- Haft. Befolgt wurde das Gesetz jedoch nicht: Wer den Behörden als gemeingefährlich galt, wurde weiterhin weggesperrt. Einige entlassene Aidskranke wiederum machten sich zu serienmäßigen Bankrauben auf, ließen sich danach auch mitunter freiwillig festnehmen und kamen bald wieder frei, wie etwa die Turiner „Aids- Bande“, die in den letzten Monaten schon fünf Banken überfallen hat.

Sofern sie dabei nicht mit der Infizierung anderer Personen drohten, ließ die Polizei sie gewähren und beruhigt mitunter verängstigte Bankkunden nach Überfällen mit den Worten: „Keine Angst, das sind harmlose Aidskranke.“

Das paßt natürlich den Law- and-order-Verfechtern überhaupt nicht, und so achten sie auch in der Sommerpause penibel darauf, daß nicht irgend etwas geschieht, was zu sehr nach humanitärem Gedusel aussieht. „Wer seine Krankheit dazu nutzt, Straftaten zu begehen, und gar mit Ansteckung droht, ist ein Mörder“, tönte der stellvertretende Vorsitzende der rechtslastigen Nationalen Allianz, Ignazio La Russa, und einige seiner Parteifreunde murmeln von Todesstrafe.

Doch auch die eher Mitfühlenden sind geteilter Meinungen darüber, wie man nun vorgehen soll. So möchte das Justizministerium zunächst einmal den Begriff des „Aidskranken“ klären: Fallen unter das Freilassungsdekret nur Kranke im letzten Stadium oder alle nachweislich Infizierten? „Kein Freibrief für Leute, bei denen lediglich der Test positiv ist, aber noch keine Krankheitszeichen zu sehen sind“, fordern die Justizsprecher der rechten Nationalen Allianz unter Hinweis darauf, daß man bei einer „allzu weichen Lösung in manchen Gefängnissen bis zu zwei Drittel der Insassen rauslassen müßte“. Tatsächlich waren etwa in Mailand zeitweise bis zu 60 Prozent der Häftlinge HIV positiv.

Die zweite Frage, aufgeworfen von der anderen Seite des politischen Spektrums, durch die Linksdemokraten, ist „die nachfolgende Unterbringung der Entlassenen“: So ganz, ganz frei will man die „krankheitshalber Begnadigten“ (la Republica) denn doch nicht: aber für neue Justizvollzugskrankenhäuser ist kein Geld da.

Damit aber springt der Argwohn nun noch auf andere Sektoren über: „Mit allen Kräften“ wollen sich normale Krankenhäuser, so ein Sprecher des Krankenhausverbandes, dagegen wehren, daß „die dann einfach bei uns eingeliefert werden“ – zumal auch für die „nicht straffälligen Aidskranken doch derzeit schon mehr als fünftausend entsprechend ausgestattete Betten fehlen“.

Und so ahnt denn mancher am Ende Schlimmes: „Es wird so gehen wie bei der Schließung der Irrenhäuser in den 70er Jahren“, vermutet ein Aids-Experte im staatlichen Rundfunk RAI: „Die Leute wurden mit großem Pomp entlassen, doch dann fehlten Auffangstrukturen – und am Ende wurden die Irrenhäuser als Sonderabteilungen der Krankenhäuser wieder eingeführt.“ Werner Raith

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen