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Agrarkonkurrenz für den Westen

■ Gespräch mit dem agrarpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf

INTERVIEW

taz: Etwa ein Drittel der Landwirtschaftsbetriebe der DDR steht kurz vor dem Kollaps. Warum schlittern die Agrarbetriebe so rasch in die Krise?

Graefe zu Baringdorf: Die Handelsmonopole Westdeutschlands haben Ausschließlichkeitsverträge geschlossen mit den zentralistischen Handelsorganisationen HO und Konsum. Sie haben Westwaren in die Geschäfte gebracht und haben verhindert, daß DDR-Waren angenommen werden. Das heißt, es ist kein Markt hergestellt worden, sondern die Unternehmen der BRD haben sich in das zentralistische System der DDR -Versorgung eingekauft.

Wie ist in diesem Zusammenhang die Äußerung von Bundesminister Kiechle zu verstehen, die Agrarmarktkrise in der DDR zeige, daß private Betriebe mit dem Markt besser zu Rande kämen als planwirtschaftliche?

Es ist leicht, das auf vierzig Jahre sozialistische Mißwirtschaft zu schieben, die ich gewiß nicht verteidige. Auch die bäuerliche Wirtschaft in der BRD gerät noch immer zwischen die Mühlsteine dieser Großkonzerne, die die regionale Versorgung und Vermarktung zerreiben. Ich vermute, daß die künstliche Schaffung von Agrarüberschüssen durch den Absatzstau in der DDR dazu führen soll, die Gründung von privaten Höfen unmöglich zu machen. So könnte sich aus den LPGs eine kapitalistische Großlandwirtschaft entwickeln, die vor allem Rohstoffe herstellt für die Verarbeitungsindustrie Westdeutschlands.

Die Fläche ist bei DDR-Betrieben wesentlich höher als im Westen. Fürchten die BRD-Landwirte nicht die Konkurrenz der LPGs?

Die von der DDR-Regierung zumindest in Kauf genommene Situation wird zur Entstehung kapitalistischer Großbetriebe führen, die nun ihrerseits mit ihrem Rationalisierungsstand der westdeutschen Bauernschaft Konkurrenz machen. Der Durchschnittsbetrieb in der DDR liegt bei 4.500 Hektar, in der BRD bei 35. Selbst wenn in der DDR-Agrarwirtschaft einiges entflochten wird, so will man keinesfalls zu einer bäuerlich strukturierten Landwirtschaft zurück.

Wird das vor wenigen Tagen beschlossene Notprogramm der DDR -Regierung greifen?

Art und Höhe dieser Hilfen - vor allem Überbrückungskredite - sind nicht dazu angetan, längerfristige Lösungen zu schaffen. 1,3 Milliarden machen nicht mal einen Monatslohn aller LPG-Beschäftigten aus. Andere Kredite sind vorerst gestoppt, weil den Banken noch keine Sicherheiten geboten werden können. Was notwendig wäre, sind Kredite zum Aufbau der Infrastruktur einer regional angepaßten Vermarktung, mit kleinen Geschäften, Erzeuger/Verbraucher-Genossenschaften, um einer ökologisch ausgerichteten bäuerlichen Landwirtschaft überhaupt eine Chance zu geben.

Interview: Thomas Worm

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