piwik no script img

Agrarindustrie in NiedersachsenSind so viele Euter

Der Riesenkuhstall im niedersächsischen Barver wird jetzt nicht für 3.200 Milchkühe gebaut, sondern für 1.600. Eine Weide sehen die Tiere nie, die Molkereien und die Futtermittelindustrie profitieren.

Keimzelle des Protests: Auf dem Hof von Friedhelm Feldhaus im niedersächsischen Barver. Bild: dpa

BREMEN taz | Keine 3.200 Stück Milchvieh, der größte Kuhstall Deutschlands wird in Barver nicht gebaut, das ist die Botschaft: Mit der soll wieder Ruhe einkehren im dünn besiedelten Ortsteil der Samtgemeinde Rehde im Landkreis Diepholz.

Die Kuh sei vom Eis, wortspielt der Ortsteilbürgermeister, Entwarnung kommt aus dem Samtgemeinderat Rehde, und auch die Kreisverwaltung stimmt mit ein. Aber noch längst sind nicht alle beruhigt. "Die Sache hat doch einen Haken", befürchtet Bauer Friedhelm Feldhaus, "und der ist so groß, dass man ihn nicht sieht."

Am Sonntag geht die bundesweite Proteststernfahrt gegen eine industrielle und für eine bäuerliche Landwirtschaft los, ein Arm in Rostock, einer in Hessen, einer in Marktoberndorf und einer in Greetsiel an der Nordsee.

Bis 9. Juni soll sie dauern, das Kanzleramt ist das Ziel. Sie führt über die Hotspots der deutschen Agrarpolitik. Und Feldhaus Hof ist eine wichtige Etappe: Montag und Dienstag hält hier der Bauerntreck.

Denn "Barver ist ein symptomatischer Ort geworden", sagt Ottmar Illchmann vom Bund deutscher Milchviehhalter (BDM). Ein Symptom dafür, dass die Agrar-Industrialisierung nach der Fleischproduktion nun auf die Milch übergreift, genau hier, im Gründlandgebiet mit den Einsiedlerhöfen. Einer davon gehört Feldhaus, und dessen Nachbar ist der Milchfabrikant Jörn Kriesmann, der die Anlage mit 3.200 Kühen bauen wollte.

Direkt vis-à-vis hat der seine Stallungen, verborgen durch eine drei Meter hohe Deichanlage rings ums Terrain: Nur wer die besteigt, erhascht einen Blick auf die Flachbauten. In denen leben 1.100 Kühe sommers wie winters.

Mit herausragendem Liegekomfort, wie der Fachmann sagt, unter tollen hygienischen Bedingungen. Die Weide? Kennen sie nicht. Für Weidehaltung gelten 120 Tiere als Obergrenze. Zwar, der Milch täte das gut. Stallhaltung verschlechtert das Fettprofil. Aber wer merkt das schon?

Wie er seinen Hof mit 100 Kühen und 180 Hektar Weideland gegen Kriesmanns Expansionsdrang behaupten soll, das bereitet Feldhaus Sorgen. Auch wenn der hat zurückstecken müssen: Anstelle des Giga-Stalls mit 3.200 Milchkühen darfs jetzt nur ein Megastall werden, mit 1.600 Tieren.

Das ist zwar noch immer das 20fache der niedersächsischen Durchschnittsherde. "Aber man muss auch", sagt Samtgemeindebürgermeister Hartmut Bloch, "die Entwicklung der Nachbarkreise im Auge behalten". Gerade Vechta setzt weiter auf Agrarindustrialisierung. "Da gibt es starken Druck auf unseren Flächenmarkt."

Denn Barver ist ein Extrem-, aber kein Einzelfall: Bauvoranfragen für 1.000er Ställe gibts im Kreis Leer/Ostfriesland, in Rotenburg/Wümme, in Vechta und im ganzen Land: Die Milchquote läuft aus. Der Markt ordnet sich neu.

Und wenn die EU im Sommer keine neue Form der Regulierung findet, gehts rund: Offenbar gibts die Hoffnung, für die Molkereien durch Größe attraktiv zu werden. Für die ist es ja praktisch einen statt 20 Höfe anzufahren.

Besonders interessant ist das Modell natürlich auch für die Futtermittelindustrie. Denn Grünland heißt ja: relative Autonomie. Bislang konnte die Milchbauern deshalb Front machen gegen Gen-Futter. Aber so entstehen Abhängigkeiten.

Woher das Geld für den aktuellen Investitionsschub kommt, ist unklar. Als hochprofitabel galt die Milchwirtschaft zuletzt nicht. Sicher ist nur, dass ein Stall mit 3.200 Kühen einen Jackpot im Lotto kosten würde.

Bürgermeister Bloch ist nicht wenig stolz auf den "Kompromiss, der die Belange aller Beteiligten berücksichtigt". Und für den "unzählige Gespräche" geführt wurden, sagt er, zwischen Kommunalverwaltung und Investor, zwischen Bauern und Gemeinde, und interfraktionell im Rat. "Wir wollten nicht, dass es zum Politikum wird."

Dabei wars das längst: Der örtliche Protest, der gleich im Februar vom Hof der Feldhaus ausging, schlug Wellen, erst im Gemeinderat, dann im Kreistag und schließlich in den Medien, bundesweit.

Am Ende fand sogar Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann (CDU) deutliche Worte: "Stallprojekte dieser Größenordnung lehnt die niedersächsische Landesregierung ab", schrieb er an die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die sich an den Protesten beteiligt hatte, neben dem BDM und dem Bündnis gegen Agrarfabriken.

In Barver hatten manche Sorge vor einer Spaltung des Dorfs. Auf der einen Seite sehen selbstständige Bauern ihre Existenz bedroht: Wenn einer so viel Milch anbietet wie sonst 40, dann wird das Höfesterben forciert.

Auf der anderen sind die Lohnarbeiter: Denn vollautomatisch reinigen sich die Ställe nicht, gemolken werden muss auch, und die Futterlieferungen vom Staplerfahrer in die Lagerhalle verbracht. Das halbe Dorf arbeite für die Kriesmanns, ist in Barver zu hören.

Also hat "die Gemeinde das Verfahren an sich gezogen", erklärt Bloch. Und also fand man besagten Kompromiss, dem Feldhaus nicht traut:"Der hatte doch die ganze Zeit gesagt: Er muss sich mindestens verdoppeln, damit es sich lohnt", sagt der Bauer. "Und jetzt soll er plötzlich damit zufrieden sein?"

Die Kriesmanns finden, zum Thema sei alles gesagt. Und auf die Frage, ob sie jetzt statt einem für 3.200 bloß zwei Ställe à 1.600 Milchkühe bauen, antworten sie, ihnen sei bloß "wichtig, dass es unseren Tieren gut geht".

Bloch schließt ein solches Schlupfloch aus. Dreifach abgesichert hat man das Verhandlungsergebnis, im Gemeindeentwicklungs-, im Flächennutzungs- und im Bebauungsplan. Die sind geeint, die Zustimmung im Gemeinderat also sicher. Und der Zuwachs von 500 Kühen, der nun gestattet wird, der sei ja doch auch noch ein erheblicher.

Bloch hat Recht. Kommunal haben sie alle Möglichkeiten ausgeschöpft, im Fall Barver, der ein Symptom ist. Dem haben sie eine Grenzen stecken können. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • WB
    Wolfgang Banse

    Tier gerechte Haltung

    Auch Tiere sind Geschöpfe und sollten dem entsprechend gehalt werden.,art und Tier gercht.Ein Riesenstall mit geplanten 3200 Kühen wurde keine Genehmigung erteilt,aber vorgesehen ist ein Stall mit 1600 Kühen.Auch dieser Riesenstall sollte von den zuständigen Gremien nicht erteilt werden.

    Der Standort Deutschland benötigt keine LPGs,wie sie in der ehemaligen DDR existierten.Agrarfabriken und Massentierhaltung sollten in der deutschen Landwirtschaft keine Stellung haben.Die herkömmliche Landwirtschaft,wo es Nebenerwerbslandwirte,Zuerwerbslandwirte,Kleinbäuer-Mittelbäuerliche und Großbäuerliche Betriebe gab,gibt es kaum noch im Dorfbild.Wachsen oder weichen ,dies ist die gegenwärtige Landwirtschaft,die das Landwirtrschaftsbild bestimmt.

    Tierhaltung Ja,Massentierhaltung Nein.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Keien Massentierhaltung

    Die deutsche3 lanndwirtschaft befindet sich in einem Prozess,wo Massentierhaltung angesagt ist.

    Einen Riesenstall mit 3200 Kühen keine Genehmigung zu erteilenn ist ein richtiger und wichtiger Entschluss,auch im Bezug auf die artgerechte Tierhaltung.

    Klasse statt Masse sollte in der deutschen Landwirtschaft angesagt sein.LPGs,wie sie es in der ehemaligen DDR gab,sollten im Standort Deutschland

    keinen Einzug halten.

    Tierhaltung JA,Massemtierhaltung NEIN

  • E
    egal

    "Die Molkereien und die Futtermittelindustrie profitieren"? Der Verbraucher ist es, der profitiert, um es mal ganz klar zu sagen.

     

    Es ist unglaublich, wie im Bereich Milch- und Fleischkonsum die kollektive Verdrängung funktioniert. Da ist die böse Industrie dran schuld, wenn die armen Tierchen gequält werden, damit der Mensch sein Konsumverhalten nicht ändern muss. Solche Zustände können ganz leicht abgestellt werden; hat jedeR in der Hand, von heute auf morgen: Vegan werden.

     

    Der Umweg über "Bio" ist dabei lediglich ein Feigenblättchen; die Ausbeutung von Tieren ist nämlich niemals gerechtfertigt und auch nie "artgerecht", die Unterschiede zwischen konventioneller und biologischer Landwirtschaft sind diesbezüglich marginal. Sorry, aber hier ist und bleibt der Verbraucher der Verursacher, auch wenn die taz ihrer Bioladen-Leserschaft solche unbequemen Wahrheiten verständlicherweise nicht zumuten möchte.

     

    Da kritisiert man lieber in Artikeln wie diesem Lebensmittelindustrie und konventionelle Landwirtschaft und kann sich so weiter in der Illusion wiegen, dass die Kühe in Biohaltung ihre Kälbchen ganz freiwillig verstoßen, damit sie ihre Muttermilch den lieben, guten Menschen zur Verfügung stellen können. Selbstverständlich in Mengen, die das Ganze nicht zu teuer machen. Mein Gott, Leute, macht die Augen auf...

  • K
    Kerzenlicht

    Ich kaufe eh nur Bio-Milch, um sicher zu gehen, dass die Tiere eine Weide kennen. Wer so viele Tiere halten will, der will maximalen Profit aus den Tieren ziehen und dem ist egal, wie es den Tieren dabei geht. Es wird jetzt schon ein großer Teil der produzierten Nahrungsmittel weggeworfen, wieso muss dann noch mehr produziert werden? Ich habe mir das Fleischessen schon abgewöhnt, um zu verhindern, dass gierige Menschen aus dem Leid der Tiere mit meiner Hilfe Profit schlagen können und ich werde mir auch Milch und Eier noch abgewöhnen. Je mehr Menschen sich dazu durchringen, nicht mehr durch ihre Ernährung Qualtierhaltung zu unterstützen, umso eher wird man sie einstellen. Die "christliche" Regierung hat ja offenbar kein Interesse daran, Tierleid zu verhindern. Die "Schöpfung" geht denen am Arsch vorbei, solange der Profit und die Spenden stimmen.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Keine Massentierhaltung

    Die deutsche landwirtschaft verändert sich zunehmend,im Bezug auf den Europäischen Markt.

    Massentierhaltungen,wie Hähnchen,schweine,Kälbermast

    sind keine seltenheit,sondern zur deutschen realität geworden.LPG,wie sie in der ehemaligen DDR

    vorhanden waren,kommmen jetzt in den alten bundesländer der Bundesrepublik-Deutschland zum tragen.Eine verfehlte Landwirtschaft wird im Standort Deutschland betrieben.

    Die Nichtgenehmigung eines Kuhlstalles mit 3200 Kühen ist zu begrüßen.Auch ein stall mit Kühen von 1600 sollte keine Genehmigung erhalten.

    Tierhaltung Ja,Massentierhaltung ein klares und deutliches NEIN.

  • W
    Weidekuh

    Ein Hof mit 20 - 70 Tieren kann noch heute, als Mischbetrieb, 2-3 Personen ernähren. Wenn sich in einer Region 20 solche Betriebe befinden, mit Tieren, die nicht nur auf die Weide gehen, sondern auch einen viel besseren Kontakt zu ihren Menschen haben und deren Gesundheitszustand von Augen nicht Computern beobachtet wird, geht es all diesen Lebenwesen besser. Sollte ein einziger Betrieb all das auffangen können? Ein Betrieb, der vielleicht 20 schlecht bezahlte Arbeiter beschäftigt und dem die Qualität seiner Produkte nicht wirklich wichtig ist, weil die Quantität den Qualitätsverlust auffängt, kann nur zum weiteren Verfall unser aller Lebensmittel und -situation führen.