Afghanstian-Einsatz: Protest gegen "dreckigen Krieg"
Während die Grünen fast am Streit über den Afghanistan-Einsatz zerbrechen, sind 10.000 Menschen in Berlin diese Zweifel fremd: Sie sind dagegen.
BERLIN taz Über die Hälfte der deutschen Bevölkerung sind Umfragen zufolge gegen den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan. Gut 0,03 Prozent davon kommen an diesem Samstag mit Bussen, Bahnen und Sonderzügen nach Berlin gefahren. 10.000 Teilnehmer von über hundert Friedensgemeinschaften, Attac-Ablegern, Linkspartei-Verbänden und Sozialbündnissen zählen zumindest die Veranstalter der Demonstration mit dem Motto "Frieden für Afghanistan. Bundeswehr raus". Es haben in der Hauptstadt schon deutlich mehr Menschen protestiert - vor vier Jahren etwa, als die USA den Irak angriffen. Da kamen um die 500.000, ohne dass deutsche Soldaten beteiligt waren. "Scheißegal", sagt Johannes Philipp und stemmt sich gegen die lange Holzlatte, an der ein beschriebenes Bettuch befestigt ist: "Gegen die Diener des Todes". "Wir rennen nicht der Masse hinterher", ruft er. Philipp sieht aus wie ein Seemann. Er hat einen weißen Bart und eine dunkle Kapitänsmütze auf. Sein Banner flattert wie ein Segel im Wind.
Am Freitagabend hat Johannes Philipp schon im Norden Bremens demonstriert. Im Regen. Mit seiner "Initiative Nordbremer Bürger gegen den Krieg". Es war ihre 286. Demo. "Afghanistan", sagt er, "hat uns vor sechs Jahren auf den Plan gerufen." Seitdem sich deutsche Truppen dort am amerikanischen "Krieg gegen den Terror" beteiligen, ziehen sie in Bremen jeden Freitag los, 17 Uhr. Das Wetter hält sie nie ab. Höchstens die Stadtverwaltung, wenn sie die Veranstaltung nicht genehmigt. Weil Kirmes ist. "Oder irgendein anderes Idiotenfest", sagt Philipp, der um die 30 seiner 65 Lebensjahre in der SPD verbracht hat, der vier Jahre lang Soldat war, dann Mechaniker für einen Rüstungskonzern, der dort gelernt hat, zu widersprechen, studierte, Anwalt wurde, aus der SPD austrat und heute zum dritten Mal eine der drei Holzlatten durch Berlin trägt, an denen ihr Transparent hängt. Das erste Mal ging es gegen den Irak-Krieg, das war 2003. Beim zweiten Mal gegen Hartz IV. Und an diesem Samstagmorgen hat er wieder alles in seinen Golf gepackt. Jetzt steht er vorm Roten Rathaus und kämpft gegen den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan und gegen diesen verdammten Wind, der das Betttuch beutelt.
Auf der Bühne fordert der Berliner Politikwissenschaftler Peter Grottian dazu auf, die Rüstungsproduktion friedlich zu stören. Eine Moderatorin sagt, dass sie für ihre Politikerbefragung leider nur einen einzigen Grünen-Abgeordneten finden konnten, der bereit war, sich zu äußern, Hans-Christian Ströbele. Der allerdings sei im Augenblick wie alle anderen auf dem Sonderparteitag zum Afghanistan-Einsatz und antworte deshalb "aus der Konserve". Ströbele fordert den Truppen-Abzug, sieht ein, dass die "Errungenschaften des Wiederaufbaus" dadurch verloren gehen könnten und schlägt deshalb vor, Friedensverhandlungen mit allen zu führen, "die dort Waffen tragen." Nach ihm wird statt Oskar Lafontaine, dem krankheitsverhinderten Linksparteivorsitzende, ein außenpolitischer Sprecher befragt, der von einem "blutigen, dreckigen Krieg" spricht, die Distanzierung von den USA fordert und sich dabei sehr in Rage redet. "Da dürfen ruhig auch Emotionen da sein", sagt die Moderatorin.
Carla Philipp wären ein paar mehr Argumente lieber gewesen. Und Antworten. Auf die Frage etwa, wie denn nach einem Abzug ein afghanisches Bürgerkriegs-Chaos zu verhindern wäre. "Ein bisschen platt", findet sie das meiste, was sie gehört hat. Nur Ströbeles Vorschlag gefiel ihr. Philipp steht hinter ihrem Mann, der immer noch tapfer dem Wind trotzt, und hält ihr eigenes Plakat hoch: "Mit den Mitteln der Feindschaft lässt sich kein Land befrieden." Die katholische Kirchenaktivistin hätte es gern etwas knackiger gehabt. "Aber gestern Abend ist mir nichts besseres mehr eingefallen." Ihre Forderung: "Raus, aber erst eine Lösung suchen." Ihr Mann mag Ströbele auch. Der war schon mal bei einer ihrer Freitagsdemos. "Er ist ja nicht schlecht", sagt Philipp. "Ist halt in 'ner scheiß Partei." Oben auf der Bühne fordert jemand, dass die Grünen sich wieder auf ihre Ursprünge in der Friedensbewegung besinnen sollen. Davor wehen die roten Fahnen der Linkspartei.
Der Demozug bewegt sich dann ziemlich zügig zum Brandenburger Tor. Ein bisschen wirkt das, als hätten die Friedensaktivisten später auch noch etwas anderes zu tun. Auf der Abschlusskundgebung tritt zwischen Rednern, die alle auf die schlechte Lage in Afghanistan hinweisen, der Schriftsteller Tariq Ali auf. Im Februar 1968, ruft er der Menge auf Englisch zu, habe er zuletzt in Berlin demonstriert. Mit Rudi Dutschke. Gegen den Vietnam-Krieg. "Und in meinem Herzen spüre ich: Würde Rudi noch leben, dann wäre er heute hier oben - anders als viele seiner Mitstreiter von damals -, und er würde sich gegen diesen Krieg aussprechen." Die Leute lächeln ein bisschen versonnen und klatschen. Die Nato-Truppen müssen sofort raus, verlangt Ali. Anschließend sollen sich die Mächte der Region, die alle Kontakte zu den afghanischen Volksgruppen haben, um die Stabilität kümmern. Pakistan, Iran, Russland, Indien. Er wolle schließen mit den einzigen deutschen Worten, die er heute gelernt habe, sagt Ali: "Bundeswehr raus aus Afghanistan." Sein "R" rollt weich, die Menge applaudiert und skandiert den Slogan. Hinten, wo sich alles ein bisschen verläuft, kämpft Johannes Philipp weiter gegen den Wind. Und auf der anderen Seite des Brandenburger Tors hört ein auch nicht unerheblicher Teil der deutschen Bevölkerung einer Gruppe Indios beim Musizieren zu.
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