Afghanistan nach der Wahl: Neues altes Kabinett
Die Hälfte der bisherigen Minister wird in der neuen Regierung wieder vertreten sein. Die US-Regierung gibt sich betont begeistert. Von Korruptionsbekämpfung keine Rede mehr.
"Wahnsinnig enttäuscht" sei sie von Hamid Karzais neuem Kabinett, sagt die afghanische Frauenaktivistin Wazhma Frogh. Nur eine Frau sei in der neuen Regierung, die farblose Frauenministerin Husn Bano Ghazanfar - wie gehabt. "Nur weil sie keine Warlords sind, weil sie keine Waffen haben, weil sie nicht geplündert und gemordet haben und niemanden bedrohen. Vielleicht ändern Frauen ja jetzt ihre Strategie", so Frogh mit drohendem Unterton.
Die Vorsitzende der Organisation "Global Rights Afghanistan" ist nicht die einzige, der es an Begeisterung fehlt. Das neue Kabinett, das der afghanische Präsident gestern in Kabul vorgestellt hat, sieht dem alten zum Verwechseln ähnlich. Rund die Hälfte seiner alten Mannschaft will Karzai behalten, darunter auch der Warlord Ismail Khan aus Herat, den Washington gern losgeworden wäre, der aber Ruhe an der Grenze zum Iran garantiert. Das erhoffte Signal für eine neue, weniger korrupte Regierung geht von diesem Team auf jeden Fall nicht aus. Über die endgültige Kabinettsliste muss das Parlament entscheiden.
Bei näherer Betrachtung hält sich jedoch nicht nur die Zahl der ausgemachten Kriegsherren unter den Ministern in Grenzen sondern auch Karzais Wahlmöglichkeiten. So setzt Karzai unverändert darauf, lokale und ethnische Führer in die Regierung einzubinden, weil er sie kaum bekämpfen kann. Zwei der bekanntesten Milizenführer, den Tadschiken Mohammed Qasim Fahim und den Hasara Khalil Khalili, hatte der paschtunische Präsident bereits während des Wahlkampfs zu seinen zukünftigen Stellvertretern ernannt. Ein weiterer, der Gouverneur von Jalalabad Gul Agha Sherzai, soll angeblich den der Korruption verdächtigen Bürgermeister von Kabul ersetzen.
Allerdings wurde auch einigen der designierten Minister bereits Korruption vorgeworfen. Einige sollen daran beteiligt gewesen sein, Karzai im ersten Wahlgang eine hohe Stimmenzahl zu verschaffen. "Das Problem ist, dass jeder, der Karzai unterstützt hat, an der Regierung beteiligt wurde," sagt der Parlamentsabgeordnete Mir Ahmed Joyenda aus Kabul. "Das Kabinett sieht aus wie eine Aktionärsversammlung."
Vor diesem Hintergrund ist die gestrige Reaktion der USA doch eine ziemliche Überraschung. Ausgerechnet der Sonderbeauftragte Richard Holbrooke, der noch vor zwei Monaten Karzai wegen Korruption am liebsten in die Wüste geschickt hätte, betonte: "Das ist eine Regierung, mit der wir arbeiten können." Und US-Botschafter Karl W. Eikenberry, der eigentlich gar keine weiteren Soldaten an den Hindukusch schicken wollte, weil er ehedem meinte Karzai fehle die Legitimität, ließ sich gar zu der Behauptung hinreißen, die Minister seien "weltklasse" und könnten ihre Ämter "genauso in den USA oder Europa" ausüben.
Es sieht ganz danach aus, als hätte die Obama-Regierung ihre neue "Strategie" recht schnell den Realitäten in Afghanistan angepasst. "Leider hat die internationale Gemeinschaft keine klare Politik in Afghanistan", klagt der Herater Parlamentsabgeordnete Ahmad Behzad. "Einerseits behaupten sie, sie wollten keine korrupten Regierungsmitglieder, andererseits sehen wir immer wieder, dass diese unterstützt werden." Unklar ist noch, ob der deutsch-afghanische Außenminister Rangin Dadfar-Spanta sein Amt behält. Gestern hieß es, der Aachener Politikwissenschaftler solle auf jeden Fall noch bis zur Afghanistan-Konferenz im Januar in London im Amt bleiben. Auch will Karzai ein neues Ministerium einrichten, für das er noch die Zustimmung des Parlaments braucht. Es soll sich um Märtyrer und Behinderte kümmern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Krieg in Gaza
Kein einziger Tropfen sauberes Wasser
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus