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Afghanischer "Großer Rat" für MilitärpaktAmerikafreundliche Loja Dschirga

Der Große Rat von Afghanistan stärkt Präsident Karsai: US-Truppen dürfen unter verschärften Bedingungen bis 2024 im Land bleiben. Mit den Taliban soll verhandelt werden.

Mitunter ermüdend: die Loja Dschirga. Bild: dapd

KABUL taz | Der Große Rat von Afghanistan hat der Stationierung amerikanischer Soldaten bis mindestens 2024 am Hindukusch zugestimmt. Die traditionelle Versammlung, die Loja Dschirga, stärkte damit Afghanistans Präsident Hamid Karsai in einer äußerst sensiblen Angelegenheit den Rücken. Große Teile der afghanischen Bevölkerung betrachten den geplanten Militärpakt mit den USA argwöhnisch.

Die Versammlung aus über 2.000 Stammesältesten, Politikern und religiösen Führern sprach sich mit überwältigender Mehrheit für eine verlängerte amerikanische Militärpräsenz um wenigstens zehn Jahre aus, knüpfte den Verbleib amerikanischer Soldaten jedoch an eine ganze Reihe von Bedingungen: Beispielsweise sollen amerikanische Soldaten für Vergehen im Land vor afghanische Gerichte gestellt werden. Zudem sollen die USA ihre umstrittenen nächtlichen Razzien in afghanischen Wohnhäusern sofort stoppen.

Das Militärabkommen mit den USA sei sehr wichtig und im "nationalen Interesse" Afghanistan, erklärten die Delegierten nach viertägiger Beratung. Ratsmitglied Ali Abdul Seraj sagte, er sei froh über die Entscheidung. Die Beratung habe in vielen Punkten klargemacht, wie die Zukunft in Afghanistan nach 2014 aussehen solle.

Der geplante Vertrag ist in Afghanistan jedoch umstritten: Um die 1.000 Studenten in Nangahar, im Osten des Landes, blockierten am Sonntagmorgen aus Protest die Verkehrsstraße nach Kabul. Auch die aufständischen Taliban und andere radikalislamische Gruppen lehnen bislang kategorisch Friedensverhandlungen ab, solange noch ausländische Soldaten in Afghanistan sind.

Beschlüsse nicht bindend

Die Entscheidung der Loja Dschirga dürfte somit Gespräche mit den Aufständischen weiter komplizieren. Allerdings sind die Beschlüsse nicht bindend. Präsident Karsai kann sie jedoch als Untermauerung seiner politischen Linie gegenüber dem Parlament nutzen.

Der Nato-Einsatz am Hindukusch soll bis 2014 beendet sein. Der von der afghanische Regierung und den USA angestrebte Militärpakt soll dem bettelarmen Land weiter Gelder aus Washington bringen und gleichzeitig die strategischen Interessen Amerikas am Hindukusch wahren.

Etliche der von den Delegierten aufgestellten Bedingungen für US-Militärstützpunkte in Afghanistan sind für die Vereinigten Staaten jedoch kaum annehmbar: etwa die Forderung, amerikanische Soldaten afghanischer Gerichtsbarkeit zu unterstellen. Die USA hatten vor kurzem ihre letzten Truppen aus dem Irak abgezogen, nachdem die irakische Regierung dies zur Bedingung machte.

Die Delegierten unterstützten auch Karsais Ruf nach Friedensverhandlungen mit den aufständischen Taliban. Allerdings gibt es bislang keine Signale, dass die radikalislamischen Kämpfer zu Gesprächen bereit sind. Die Taliban hatten den Teilnehmern der Ratsversammlung mit dem Tode gedroht und Anschläge angekündigt. Am Donnerstag schossen sie zwei Raketen auf den Versammlungsort in Kabul ab.

Oppositionspolitiker und Teile des Parlaments hatten die Versammlung für illegal erklärt, weil sie gegen die Verfassung verstoße. Afghanistans Gesetz schreibt für die Einberufung des Großen Rates bestimmte Bedingungen vor. Die Beschlüsse des Forums sind bindend. Das diesjährige Treffen hatte jedoch nur beratenden Charakter und gab der Regierung lediglich Empfehlungen. Parlament und Regierung sollen das letzte Wort in dieser Angelegenheit haben.

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1 Kommentar

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  • OS
    Otmar Steinbicker

    Die USA verlangen seit langem von Afghanistan die Zustimmung zu langfristigen US-Militärstützpunkten auf seinem Territorium. Zu verlockend ist die geostrategische Lage für die Militärs, die vom Hindukusch aus China, Russland, China, Indien, Pakistan und Iran im Blick haben. Doch langfristige US-Militärstützpunkte widersprechen diametral den afghanischen Traditionen der Blockfreiheit. Daher war Präsident Karsai klar, dass er einen solchen Beschluss nicht einfach in seinem Parlament fassen kann.

     

    Afghanistan hat eine andere Demokratietradition. Über Jahrhunderte wurden wichtige Beschlüsse über das Schicksal des Landes von einer Loya Jirga gefasst, einer Versammlung der gewählten Stammesältesten aus allen Landesteilen und aus allen Ethnien, die nach ausführlichen Beratungen ihre Entscheidung trafen.

     

    Eine Versammlung der gewählten Stammesältesten, das mag aus deutscher Sicht eine etwas archaische Mischung aus Feudalismus und Rätedemokratie sein, aus afghanischer Sicht ist das die traditionelle Demokratie und die Entscheidungen dieser Loya Jirga werden als bindend akzeptiert, aber das auch nur, wenn es sich um eine wirkliche Versammlung der gewählten Stammesältesten handelt.

     

    Genau da liegt der Hase im Pfeffer! Gleich zweimal hat Afghanistans Präsident Hamid Karsai gegen die grundsätzlichen Regeln einer Loya Jirga verstoßen! Zum ersten bestimmte die Regierung, wer Afghanistans Stämme vertrat. So wurden vielfach statt der gewählten Stammesführer Karsai-treue Regierungsbeamte, Polizei- und Armeeoffiziere als „Stammesvertreter“ eingeladen. Zum anderen wurde seitens der Regierung selbst dieser Versammlung von Claqueuren nur eine „beratende Funktion“, nicht die Entscheidungsgewalt zugebilligt.

     

    Karsai wusste warum, denn selbst diese von ihm handverlesene Versammlung stand dem Militärabkommen mit den USA deutlich kritischer gegenüber als ihm lieb war.

     

    Für die gewählten Stammesführer war die Einberufung dieser Versammlung eine schallende Ohrfeige! Sie beschlossen den Boykott dieser Veranstaltung. Naqibullah Shorish, der Stammesführer des mit über drei Millionen Menschen größten afghanischen Stammes der Kharoti, schrieb mir per email aus Kabul:„"Alle Stammesführer, die ich kenne, haben eine Beteiligung an dieser Jirga abgelehnt. Von den gewählten Stammesführern sind 90 Prozent nicht gekommen, abgelehnt oder nicht eingeladen worden.“